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Kompetenzen und Grenzen spiritueller Begleiter

  1. Thesen zur Seelsorge-Rolle in Einrichtungen des Gesundheitswesens.
  1. Spezifisch für die Seelsorge ist: Sie ist Symbolfigur für die spirituelle Dimension

–    im Hintergrund

–    im Vordergrund.

  1. Spezifisch für Tätigkeit und Aufgabe der klinischen Seelsorge ist:

Sie begibt sich auf die Spur der Spiritualität

  • von Patienten/Angehörigen
  • von Mitarbeitern
  • in Themen der Fortbildung und Personalbegleitung
  • in ethischen Diskursen und Fallbesprechungen
  • im Selbstverständnis der Berufe

und nutzen diese.

  1. Ziel und Intention der Klinischen Seelsorge ist:
  2. die Beziehung zum Heiligen, also die Spiritualität in Patienten, Angehörigen so in Resonanz zu bringen, dass diese ihre Situation, ihr Schicksal besser verarbeiten können,
  3. Mitarbeitende, Leitende, Fortbildende, Beauftragte etc. so zu informieren und zu befähigen, dass sie die Dimension der Spiritualität verstehen, achten und im Blick haben können.
  1. In der Begleitung von Patienten und in der Mitarbeit in der Institution das „Heilige“ in Beziehung zu bringen, braucht in der Postmoderne eine eigene Reflexion, auf welchen Wegen und mit welchen Methoden dies möglich ist.
  1. Jeder Beruf im Gesundheitswesen (überhaupt Berufe, die mit Menschen als Menschen umgehen) hat
  2. eine funktionelle Komponente und
  3. eine symbolische Bedeutung.

Das gilt auch und erst recht für die Seelsorge.

II. Im Folgenden werden vier Begleiter- / Unterstützergruppen in den Blick genommen, die „Seelsorge im weiteren“ bzw. „Seelsorge im engeren Sinn“ machen:

  1. Besucher: Angehörige, Freunde, Nachbarn, Besucher aus der Gemeinde (das heißt nicht: „Besuchsdienst“)
  2. Ehrenamtliche: eigens vorbereitete Besuchsdienste, Hospiz-/Palliativbegleiter, Kommunionhelfer, freie Initiativen
  3. andere Professionen: z.B. Altenpflege, Sozialarbeiter, Physiotherapeuten, Musiktherapeuten, (Palliativ) Pflege, (Palliativ) Medizin u. a.
  4. Fachseelsorge: SeelsorgerInnen mit Kernberuf. (auch: Ordensleute)

Die Leitfrage dabei ist:

  • wer (welche Begleitergruppe) bringt welches Medium mit, um das Heilige in Resonanz zu bringen?
  • was sind die jeweiligen spezifischen Chancen,
  • Was sind jeweils Grenzen?

1. Erste Gruppe von Begleitern und Unterstützern:

Angehörige, Freunde, Nachbarn, Besucher aus der Gemeinde (nicht „Besuchsdienstmitarbeiter“!), (evt.) Kommunionhelfer etc.

  1. Medium für die spirituelle Dimension
  2. Der Wert der Beziehung, Zeichen der Liebe, Beziehung wird oft vertieft durch Krise, durch die man gemeinsam geht. „Jemand kommt eigens wegen mir“. („Begegnungsspiritualität“)
  3. die persönliche Spiritualität des Helfers trifft auf die (durch Krisenerfahrung / Sterben verschärfte) geäußerte oder stille Spiritualität/Religion des Patienten.
  4. Lebensgeschichte, miteinander geteiltes Leben
  5. Medium: „Glaube“ / Kirche wirkt eher indirekt (wenn Horizonte gemeinsam sind)
  6. eigene Lebenserfahrung des Besuchers („mir hat mal geholfen…“, „bei meiner Mutter war das so …“)
  7. „Ein Freund hat zu mir mal gesagt…“, „ich habe bei Anselm Grün, Richard Rohr … mal gelesen…“.
  8. das persönliche direkte Glaubenszeugnis des Besuchers und explizite Glaubensgespräche sind eher selten
  9. Spruchkarte, religiöse Schrift für Kranke, Kerze, relig. Symbol, Engel, kleine Geschenke
  10. Alltagsrituale (Kaffeetrinken, Blumen richten)
  11. Krankenkommunion nach dem Gottesdienst der Gemeinde
  12. Symbole des Kirchenjahres (Palmzweig, Adventskerze …)

1.2. Chancen

–    Anerkennung, Wertschätzung (eher implizit)

–    kommen aus dem Alltag und bringen das Leben von draußen mit,

–    das „normale Christsein“

–    bringen alltägliches Lebenswissen mit

–    Verbundenheit (Lebensgeschichte, geteilte Lebenszeit) als Ressource

–    hohe Intimität (kann aber auch zu nahe sein)

–    bringen „Gemeinde/Glaubensgemeinde“ mit („die beten für mich“)

–    rituelle Formen müssen für sich sprechen (Besucher „predigen“ (nicht), interpretieren sie nicht.

1.3. Grenzen

–    Besucher haben wenig Abstand, sind Privatpersonen, (kommen mit eigenen Ängsten, Hemmungen, Vorerfahrungen; merken nicht, wo sie verletzen, verbleiben im gewohnten Rahmen, kein Darüberhinausdenken)

–    spezifische Kommunikation oft nicht geübt, vertraut

–     „Sprüche“ (Patient denkt:) Wenn der wüsste, wie es mir wirklich geht“, „die haben gut reden“), Verharmlosung, Dramatisierung

–    denken und reden alltagspsychologisch, alltagstheologisch

–    traut man sich so intim zu werden?

–    spirituelle Ebene: eher zufällig, hängt an Persönlichkeitskompetenz

–    religiöse Schriften als Anregung – aber ob in Resonanz zum Befinden des Patienten?

–    Krankenkommunion als „fertiges“ Ritual (wenig persönlich adressiert)

1.4 Fazit:

*    Rollenbewußtsein nicht nötig (Alltagsrolle): Besucher machen „Seelsorge im weitesten Sinn“, d. h. soziale und emotionale Wertschätzung tut auch der Seele gut.

*    „Seelsorge“ wird „nebenbei“, ohne spezifische Absicht geleistet; wenn explizit, dann mit eher „fertigen“ Symbolen und Ritualen.

2. Zweite Gruppe von Begleitern:

Ehrenamtliche: Besuchsdienst der Pfarrgemeinde, Caritas (vorbereitete und beauftragte Besucher); Besuchsdienst der Seelsorge an Klinik, Altenheim; Hospizbegleiter, Kommunionhelfer, freie Initiativen etc.

2.1 Medium für die spirituelle Dimension

–     Wertschätzung des Patienten, weil ein Mitmensch an ihm Interesse hat („Begegnungsspiritualität“ möglich)

–     Ehrenamtliche Fähigkeiten rühren aus der eigenen Biografie; Anknüpfungspunkte aus gemeinsamen Interessen, Hobbys …

–     die Seele des Patienten wird durch Charisma / Persönlichkeit / Ausstrahlung des Helfers berührt

–     Ehrenamtliche sind Spezialisten für das Alltägliche – sie arbeiten eher „diakonisch“

–     kommen in christlichem Auftrag

–     Verstehen der „Alltagsspiritualität“ des Patienten, Resonanz durch den Helfer als Unterstützung („Resonanzspiritualität“, Weiher 2008)

–     Spiritualität des Helfers ist durch Ausbildung reflektiert; ebenso sind Lebensgeschichte, Lebens- / Krankheits- / Sterbe- / Trauererfahrung so reflektiert, dass der Besucher frei ist für die spezifischen Erfahrungen des Patienten.

–     Spiritualität des Patienten wird durch Besucher nicht explizit gedeutet und vertieft (aber begleitet)

–     Spiritualität des Helfers wird vom Patienten als Teil des Menschseins (nicht auf Grund von Ausbildung, Kursen …) erlebt

–     persönliches Zeugnis (aber in Rolle!), Spruchkarte, symbolische Handlungen, kleine Rituale (Gebet, Krankenkommunion) Adventskalender …

2.2 Chancen:

–     ehrenamtlicher, freiwilliger Einsatz als Motivation des Helfers (nicht dafür bezahlt): „Menschen wenden sich mir freiwillig zu.“

–     haben Rolle, Entsendeorganisation (Hospiz, Seelsorge, Caritas, Pfarrgemeinde, Altenheim)

–    sind geschult und vorbereitet

–     haben in Schulung, Supervision und Begleitung eigene Erfahrungen „verarbeitet“, d. h. sie wissen, wovon sie reden, „kennen“ das und kennen die ganz persönliche Erfahrung des Patienten auch nicht (weil die anders ist)

–     können von eigener Erfahrung soweit abstrahieren und Eigenes hintanstellen, dass sie gut beim Patienten sein und ihn begleiten können.

–     Lebenserfahrung kann sehr überzeugend sein: spirituelle Resonanz hängt an Persönlichkeits- und Kommunikationskompetenz

–     sind vertraute Fremde: man ist als Besucher gut aufgehoben im Menschsein

–    bringen Mitmenschlichkeit mit, sind Repräsentanten der Gesellschaft

–    bringen alltägliches Lebenswissen, Alltagspsychologie, Alltagstheologie mit

–    sind eine Art „Gemeinde“.

2.3 Grenzen:

–     Symbolische Rolle ist anders als bei Hauptamtlichen (Horizont des Heiligen braucht explizites Medium)

–     können und sollen nicht tiefer erschließen; Wertschätzung ohne weiter zu öffnen

–     verarbeiten die Themen und die Situation des Patienten nicht, sind aber Auffang- und Resonanzgefäß („gut aufgehoben im Menschsein“)

–     arbeiten nicht mit Fachwissen, nicht mit theoretischen Modellen, nicht mit Fachmethoden, wohl aber mit Alltagspsychologie, Alltagstrost

–     keine humanwissenschaftlichen Hintergründe (mischen sich vielleicht ungebeten, ungeschickt ein; geben Ratschläge, versuchen zu missionieren …)

–     sind nicht geschult in Krisenbegleitung, nicht in existenziellen Themen (Selbstbewertung des Patienten, Schuld, Versagen, existenzielle Krisen)

2.4 Fazit:

*    Rollenbewußtsein nötig (kein Privatbesuch)

*    Ehrenamtliche Seelsorge ist in der Regel unspezifisch; charakteristisch ist das bewusste Dasein, das Mitgehen und qualifizierte (weil geschulte) Resonanzgeben auf Befindlichkeitsäußerungen, Identitätsaussagen und Lebenserzählungen der besuchten Patienten.

*    Medien sind die eigene (allerdings in Vorbereitung und Supervision reflektierte) Lebens- und Glaubenserfahrung, Mitmenschlichkeit und Diakonie.

*    Spiritualität und Religion in Form von Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft; Resonanz auf die direkten wie indirekten Spiritualitätsaussagen der Patienten; evt. eigenes Glaubenszeugnis („mir hilft der Gedanke …“, „mir fällt da das Wort Jesu ein …“) und durch Gebet und religiöse Symbole.

3. Dritte Begleiter- / Helfergruppe:

Andere Berufe (Sozialarbeit, Ärzte, Pflegende, Physiotherapeuten, Psychotherapeuten …)

3.1 Medium für spirituelle Dimension

–     haben menschheitliche Rolle („die helfen mir, die achten mich, denen kann ich mich anvertrauen, die wenden sich mit Menschenliebe zu“)

–     die mitmenschliche Kommunikation gehört neben der funktionellen Kommunikation zur Fachrolle

–     sind heutzutage in Ganzheitlichkeit geschult (Altenpfleger, Palliativmediziner, …) dazu gehört die Aufmerksamkeit für spirituelle Bedürfnisse der Patienten

–     Spiritualität in der indirekten Form: „Begegnungsspiritualität“

–     spirituelle Haltung gehört zum Berufsethos

–     Vertrauen des Patienten in die Rolle als Ärztin, Pflegende etc. Daher auch hohe Bedeutung der spirituellen Resonanz für den Patienten. (Pflege, ärztl. Handeln schaffen hohe Intimität im physischen und emotionalen Bereich.)

–     Umgang mit Spiritualität integriert in die berufliche Begleitung: bleibt im beruflichen Alltag im Hintergrund, kann aber vom Patienten in den Vordergrund gebracht werden („Herr Dr., was bedeutet das für mein weiteres Leben“; „Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?“)

–     Professionelle, die Fortbildung in Palliativ-Care machen, lernen, qualifiziert auf die Spiritualitätsäußerungen des Patienten einzugehen, ohne damit so zu arbeiten wie sie das in ihrer eigenen fachlichen Tätigkeit können; Professionelle werden in spiritueller Anamnese geschult (aber es bleibt die Frage, wie sie mit dem Anamnesematerial umgehen).

–     Patienten erwarten von den Nichtseelsorgern keine spezifisch religiösen Antworten, aber gemäß der Felddynamik der Berufe, dass diese ihre Fragen und Themen verstehen (z.B. „Warum-Frage“). Glaubenszeugnis des Arztes etc eher selten gewünscht.

–     Interesse des Professionellen für religiöse / spirituelle Zeichen des Patienten, Respekt für dessen spirituelle Ausdrucksformen. Würdigung der Ressourcen des Patienten.

3.2 Chancen

–    Rolle ist selbstevident

–     Vertrauen des Patienten auf Grund der beruflichen Nähe ( z.B. Pflegesituationen) eine spezifische Nähe, die die Seelsorge nicht hat (Alltag, Berührung, Berufserfahrung mit solchen Krankheiten …)

–     menschheitlicher Horizont der Begegnung

–     Begegnung mit dem, was in Identitätssymbolen des Patienten an impliziter Spiritualität enthalten ist (Weiher 2008)

–     die Rolle des Professionellen „würdigt mit“ (nicht nur das, was Arzt, Pflege … explizit sagen); die Rollenübertragung hilft also mit – ist aber auch Grenze („damit können die sicher nichts anfangen“)

3.3 Grenzen

–     Nichtseelsorger achten auf die Spiritualitätsäußerungen, geben Resonanz, „arbeiten“ aber nicht damit; sie lassen Wertschätzung erkennen, vertiefen aber nicht

–     haben ihre eigene Spiritualität nicht so reflektiert, dass sie sie beruflich einsetzen könnten (haben „Alltagsspiritualität“)

–     ausdrücklich Spiritualität mit dem Patienten zu kommunizieren, braucht eigenen Kontrakt. („darf ich Ihnen sagen, wie ich das aufgrund meiner Glaubenseinstellung sehe?“)

–     private Religiosität (religiöse Abneigungen und Vorlieben) wird oft unreflektiert übertragen

–     Gefahr, als Ratgeber, Missionierer etc aufzutreten. Dies kann vom Patienten aufgrund der fachlichen Autorität als Übergriff empfunden werden, gegen den er sich nicht abzugrenzen traut.

3.4 Zur Diskussion: Wenn therapeutische Berufe auch explizit Seelsorge machen sollen.

–     Hohe Gefahr der Rollenvermischung: der Patient weiß nicht, wo er gerade dran ist. Mediziner, Pflegende, Physiotherapeuten muten dem Patienten auch schmerzhafte Eingriffe zu; sie beobachten nach fachlichen Behandlungskriterien, intervenieren allein schon durch ihre Diagnosen; sie „wissen alles“ über den Patienten. (z.B. Altenpflegerin: „Wir müssen noch mal die Blutwerte…“, „Sie müssen mehr trinken“ – wenn sie als Seelsorgerin auftritt: „Sie müssen weitere Behandlungen nicht akzeptieren“, „wenn Sie nichts mehr essen und trinken wollen, ist das auch okay“)

–     Es muss auch Begleiter von außen, von außerhalb des Systems geben, denen sich der Patient anvertrauen kann (Seelsorger in der Psychiatrie: „Vor mir sind Sie sicher“)

–     Andererseits hat die spirituelle Kommunikation, die zunächst auf der Ebene der „Alltagsspiritualität“ verbleibt, durch die therapeutische Fachrolle für den Patienten ein hohes Gewicht. Wenn also die (Alten) Pflegerin in der Berufssituation (z.B. Patient weint) den Patienten in den Arm nimmt, ein Gebet oder ein Gutenachtlied anbietet oder einen Segen spricht, dann ist das aufgrund der geteilten Situation und der Rolle hochwirksam. Das ist dann „seelsorgliches“ Handeln, das in den Beruf integriert und nur von daher wirksam ist. Es bleibt aber pflegerisches, ärztliches, therapeutisches Handeln, allerdings erweitert um einige seelsorglich-spirituelle Möglichkeiten; es bleibt in der Rollendynamik der therapeutischen Berufe. Wenn beim Patienten tiefere Fragen auftauchen, müssen Arzt und Pflegende einschätzen, wieweit diese Themen im wertschätzenden Zuhören ausreichend aufgehoben (im beruflichen „Container“) sind und keiner weiteren Bearbeitung bedürfen oder ob auf die Fachseelsorge verwiesen werden muss. – Sowohl diese Einschätzungsfähigkeit wie auch das (integrierte) seelsorgerliche Handeln müssen – am besten – durch die Fachseelsorge geschult werden („geschulte Gemeinde“).

–     In der Schulung der anderen Berufe in spiritueller Begleitung (vor allem in Palliative Care) hat die Fachseelsorge neuerdings eine wichtige Aufgabe. (s. Weiher 2008).

3.5 Fazit

*    Rollenbewusstsein unbedingt nötig (was bedeutet meine berufliche Rolle für den Patienten – was aber auch nicht?)

*    Auch medizinisch-körperliche, soziale und emotionale Unterstützung und Hilfe (z.B. Schmerzlinderung) tun – indirekt – auch der Seele gut. Daher: Seelsorge im weitesten Sinn.

*    Hauptmedien sind außer der Fachkompetenz: gute („menschliche“) Kommunikation, Empathie, Vertrauen, die mit der beruflichen Rolle verbunden werden.

*    Seelsorge ist hier also unspezifisch. Wünsche gehen in der Regel vom Patienten aus. Alles andere braucht eigenen Kontrakt.

4. Vierte Begleitergruppe: Seelsorge als Kernberuf.

  • Medium für die spirituelle Dimension
  • Auftrag von Glaubensgemeinschaft und Institution
  • Rollenübertragung: „Heilige Frau“, „heiliger Mann“, „Vertreter Gottes“. Symbolrolle wirkt oft mehr mit als wir denken. Rolle ist Projektionsschirm für Selbst- und Lebensbewertung (gelungenes, misslungenes Leben)
  • Schon die Präsenz dieser Symbolrolle würdigt. Erst recht die ausgesprochene Würdigung des vom Patienten Gesagten, weil es im heiligen Horizont gewürdigt wird. Es wird dem heiligen Horizont anvertraut, nicht der Privatperson Seelsorger. Die Rolle ist Medium, um mit dem Heiligen in Verbindung zu bringen und zu kommen
  • SeelsorgerIn ist Zeuge vor Gott und für Gott
  • Spezifische Themen (Warum, Krisen, Sinnfrage, Schuld, Selbstbewertung, Hoffnung…) brauchen geschulte hermeneutische Kompetenz
  • Erschließen der „Spiritualität höherer Ordnung“: was dem Patienten zutiefst bedeutungsvoll und ihn sehr persönlich existenziell erfüllt oder schmerzt – das geht über die Alltagsspiritualität („ich gehe jeden Sonntag in die Kirche“, „ich arbeite im Pfarrgemeinderat mit“, „ich meditiere“) hinaus und hat es verdient, vertieft, entdeckt und gewürdigt zu werden
  • Rituale, Gebet, Segen sollten sich auf die „Spiritualität höherer Ordnung“ beziehen
  • Fachseelsorge ist eine eigene Kunst bei spirituellen, existenziellen Krisen (Scheitern und Gelingen, Würde vor Gott…)
  • Chancen
  • kommt von außerhalb des Behandlungssystems
  • Rolle, Vertrauensvorschuß, Ausbildung, Berufserfahrung
  • kann vertiefen, aufarbeiten, klären, zu neuer Orientierung beitragen, neue Sichtweisen anregen, Horizont öffnen; Bilder, Weisheiten einspielen …
  • Sprachfähigkeit für das Menschliche und das Heilige
  • versteht, was das alles für das Menschsein bedeutet, weil sie Verbindung zum Höheren hat
  • hat reflektiertes Lebenswissen, reflektierte Weisheit, und Modelle zur Verfügung; hat Wissen über den Alltag, nicht nur Wissen aus dem Alltag; mehr als Alltagspsychologie, mehr als Alltagstheologie
  • Grenzen
  • ist nicht in der durch medizinischen Beruf ermöglichten körperlichen Nähe; kommt von außen hinzu
  • Rollenübertragung entsteht oft erst im Verlauf des Gesprächs – nicht wie bei Arzt / Pfleger per se.
  • bringt Übertragung für Moral / Kirchengeschichte / Papst etc mit
  • bringt Übertragung „Totenvogel“, aber auch „heilender Engel“ mit
  • weil „weiche Themen“, hängt vieles an der Persönlichkeitskompetenz (Ängste, blinde Flecke, Selbstüber- / Unterschätzung, Vorlieben, Abneigungen…)
  • Übertragung: „wo wollen die mich hinhaben?“, „achten die mich auch ohne Glaubenspraxis?“
  • wenn nur Routine, wenn nur Berufung auf den Amtsbonus, kann die Enttäuschung für den Patienten besonders groß sein.

Folgerungen für die Fachseelsorge

      Die Szene für die Fachseelsorge hat sich in den letzten 20 / 30 Jahren gewandelt:

  • Die anderen Berufe haben im Zug der Ganzheitlichkeit auch eine gewisse Kompetenz in spiritueller Begegnung (oder sollten sie zumindest haben) (s. Weiher 2008).
  • Die anderen Berufe haben ihre psychosoziale Kompetenz (wenigstens im Prinzip) ausgebaut und ihren Beruf damit angereichert (z.B. in Altenheim, Psychiatrie, Intensivstation …). Damit haben sie der Seelsorge etwas Unspezifisches weggenommen (oder erspart?).
  • Ehrenamtliche übernehmen psychosoziale und spirituelle Begleitung. Sie bringen menschliche Zuwendung, Kompetenz als Christ, als Mitmensch ans Krankenbett (Hospiz) Palliativstation, Klinik).

Ist das eine Bedrohung für die Fachseelsorge? Sie kann ohnehin nicht mehr flächendeckend alle Patienten besuchen und alle ihr zugetrauten Aufgaben im Krankenhaus erfüllen. Fachseelsorge arbeitet zudem in einem Feld, das psychosozial nicht mehr so dürftig ist, wie das bis in die 1970iger Jahre noch war („Medizin der Moderne“). Sie arbeitet heute in einem Feld, das für die spirituelle Dimension offener und kooperationsbereiter ist oder das dafür weiter zugerüstet werden kann („Postmoderne“).

Das ist eine Chance für die Fachseelsorge:

  • Sie kann sich bewusster auf die Spur der Spiritualität von Patienten, in Fortbildungen, in Ethik-Komitee … begeben, sich also mehr ihrer Kernaufgabe widmen.
  • Sie kann die Spiritualität höherer Ordnung im Blick haben (über die Alltagsspiritualität hinaus) – was zu ihrer Kernaufgabe gehört.
  • Sie kann sich den anderen Berufen mit ihrem Spezificum (das nicht identisch nur mit „Religion“ ist) bekannter machen, sodass diese klarer auf die Fachseelsorge verweisen können und damit die eigene Profession mit der der anderen Berufe besser in Beziehung bringen.

Es wäre ein Verlust für eine Gesellschaft und das Gesundheitswesen, wenn die Fachseelsorge durch unspezifische Seelsorge ersetzt würde. Wenn also die „Spur der Spiritualität“ nicht mehr von Fachleuten verfolgt würde und Spiritualitäten / Religiosität höherer Ordnung nicht in Resonanz käme. – Es wäre aber auch ein erheblicher Verlust, wenn wir in die Formen der Vormoderne zurück fallen würden und Spiritualität nur in Form von Krankenkommunion, Gebet und Gemeindezugehörigkeit – also das, was Ehrenamtlichen möglich ist – bedient würde. Das wäre, als ob es die geschichtliche Entwicklung von der Sakramentenversorgung über die Psychologisierung zur spirituellen Begleitung nicht gegeben hätte.

Wenn wir aber die ganze Breite, Spiritualität in Resonanz zu bringen, sehen, dann ist die Frage: Was ist so schlimm an Deprofessionalisierunsentwicklungen, wenn das Feld nur gut strukturiert aufbereitet ist? Wenn die einzelnen Begleitergruppen nur gut strukturiert und geschult aufgestellt sind und als komplementäre Kräfte in Interaktion zueinander stehen?

Also

  • nicht substitutiv (die Fachseelsorge ersetzend)
  • nicht supplementär (Abspaltung: „macht ihr das, wir machen jenes“)
  • sondern komplementär: aufeinander verweisend und aufbauend, mit je anderer Rollenübertragung („Felddynamik“), aus je anderer Perspektive.

(Literatur: E. Weiher  Das Geheimnis des Lebens berühren. Spiritualität bei Krankheit, Sterben, Tod. Eine Grammatik für Helfende. Stuttgart 2008, 3. Auflage 2010)