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Wie Menschen bei Hirntod und Organentnahme gut begleitet werden können

(In der Hospiz – und Palliativsituation)

Dass die moderne Medizin in den Sterbe- und Todesprozess des Menschen eingreifen kann und damit einen Zugriff auf einzelne Abschnitte – nicht nur bei Herzstillstand, sondern auch beim Hirntod – hat, ist einerseits eine Kunst, andererseits aber eine große kulturelle und therapeutische Herausforderung. Gerade beim Eingriff in den Sterbeprozess werden über die medizinisch-rationale Logik hinaus auch psychische, soziale, kulturelle und spirituelle Bilder bei möglichen Spendern und betroffenen Angehörigen in Mitleidenschaft gezogen und oft auch verletzt. Zugleich haben eine Hospiz- und Palliativkultur, aber auch Trauerbegleitung und Seelsorge (1) Konzepte entwickelt, die zur „Heilung“ solcher Verletzungen beitragen.

In diesem Beitrag kann es nicht um eine umfassende Diskussion der Hirntod- und Organspende-Problematik gehen, sondern nur um die Frage, wo und wie diese Themen im Hospiz- und Palliativkontext begegnen. Im Folgenden sollen einige Situationen betrachtet werden, auf die Hospizbegleiter stoßen können.

Spendewünsche von Patienten

Schwerkranke äußern gelegentlich angesichts ihres unaufhaltbaren Krankheitsprozesses den Wunsch nach einer Spende von Organen. Dann sollte der Begleiter zunächst versuchen, diesen Wunsch zu verstehen und die Absicht nicht sofort in zu Frage stellen. Auf jeden Fall gilt es dann, dem Patienten die Möglichkeit zu geben, seine Motive zu erläutern. Dann sollte der Begleitende die Gedanken und Absichten des Patienten wertschätzen und gegebenenfalls als großherzig würdigen. Erst dann gilt es, die tatsächlichen Möglichkeiten genauer zur Sprache zu bringen.

Erste Situation: Eine Spende von durchbluteten Organen setzt den Hirntod des Menschen voraus. Die Bedingungen dafür sind allerdings im Hospiz- und Palliativkontext wegen der schwerwiegenden Grunderkrankung und der gravierenden medikamentösen Behandlung äußerst gering. Gespräche darüber sollten an die ärztlichen Fachleute verwiesen werden. Diese sollten auch darauf achten, ob in der Patientenverfügung „lebensverlängerte Maßnahmen“ vorgesehen oder ausgeschlossen sind. Denn sie sind Voraussetzung für den Erhalt spendbarer Organe.

Zweite Situation: Wohl ist die Spende von nicht durchblutetem Gewebe wie z.B. der Augenhornhaut möglich. Darauf könnte die Hospizbegleiterin bei andauerndem Spendenwunsch aufmerksam machen und damit eine Möglichkeit andeuten, diesen Wunsch doch noch zu erfüllen. Dies wäre dann auch genauer mit Arzt und Ärztin und z.B. der Hornhautbank einer Augenklinik zu besprechen. Dort sollte dann auch das Verfahren zur Sprache kommen, so z.B., dass die Entnahme schon zu Hause oder beim Bestatter möglich ist und dass nach der Operation keine entstellenden und den Abschied der Angehörigen störenden Bilder zurückbleiben.

Begleitung von Angehörigen nach Organspende

Für die Begleitung von Angehörigen bei Hirntod und vor der Organentnahme werden in der Regel – außer den Organspende-Koordinatoren – die psychosozialen Dienste und die Seelsorge in der jeweiligen Klinik und nicht die Hospizbegleiter herangezogen. Wohl können die Hospizhelferinnen in die Begleitung von Angehörigen in der Weiterlebetrauer einbezogen werden.

Im Folgenden sollen hilfreiche Möglichkeiten der Begleitung der Angehörigen in der Nach-dem-Tod-Trauer skizziert werden, die in wichtigen Punkten anders sind als die Trauerbegleitung nach einer zum Tod führenden Krebserkrankung.

  • Es gilt, die Betroffenen in der Zeit abzuholen, als sie plötzlich mit der Hirntod-Mitteilung konfrontiert wurden – oder (im günstigsten Fall) sich darauf einstellen mussten. Zur Begleitung gehört es, die Todesgeschichte, dann die Lebens- und Beziehungsgeschichte bei ihnen aufzurufen und zu würdigen. Dies kann eine wichtige Auffanghilfe für die Trauer sein (2).
  • Es gilt, ihren Prozess des Abwägens und am Ende der Zustimmung zur Organspende als Erfüllung des mutmaßlichen Willens des Verstorbenen anzusprechen und mit ihnen die damit verbundenen Gefühle und Wertentscheidungen anzuschauen und wertschätzen. Dies gilt auch in den Fällen, in denen Angehörige einer Spende nicht zugestimmt haben. Erst recht dann, wenn sie eine Zustimmung verweigert haben, obwohl der Verstorbene im Spenderausweis seinen positiven Willen erklärt hat.
  • Weil die Angehörigen – anders als die Mediziner – ihren geliebten Patienten trotz Hirntoddiagnostik oft weiterhin noch als lebendig anwesend gesehen haben, ist es gut, auch später noch zu hören, welchen Fragen, Phantasien und Bedenken heute noch in ihnen sind. (Vorsicht: Der Begleiter sollte von sich aus keine Schuldgefühle ins Gespräch bringen.) Dabei können sich die Betroffenen darüber klar werden, dass ein „Nein“ zur Spende nicht bedeutet hätte, dass der Patient eine Chance gehabt hätte, ins Leben zurückzukehren. Und dass andererseits ein „Ja“ nicht bedeutet hat, ihn dem Tod auszuliefern. Das Kriterium „Ganzhirntod“ ist eine Zäsur, ab der der Todesprozess irreversibel und eine Rückkehr ins Leben ausgeschlossen ist.
  • Die Angehörigen konnten beim Eintritt des in ihrem subjektiven Erleben eigentlichen Eintritt des Todes im Entnahme-OP nicht, wie das beim „normalen“ Sterben möglich ist, bei ihrem geliebten Patienten sein. Daher ist es gut, sie zu fragen, wie sie in Gedanken und im Herzen wohl bei ihm waren und „er das sicher in seiner Seele gespürt hat“, sodass er nicht einsam in den (in ihrer Vorstellung) endgültigen Tod gegangen ist.
  • Es ist hilfreich, sie zu fragen, was sie ihm real, in Gedanken oder symbolisch, d. h. stellvertretend für ihr Dabeisein, auf den Weg in die Organentnahme „mitgegeben“ haben – das ist besonders wichtig bei der Organspende eines Kindes oder Jugendlichen.
  • Trauerbegleitung fragt auch danach, wie die Angehörigen selbst die Zeit zwischen dem hirntodauslösenden Unglück und dem Wiedersehen nach der Entnahme verbracht haben, damit das Vorher und das Nachher verbunden sind und ihre Trauer eine Kontinuität hat und keine Leerstelle bleibt.
  • Es ist wichtig, Trauernde nicht nur mit schweren Gefühlen belastet zu sehen, sondern auch als kompetente Menschen, die auch Schweres meistern können. Daher ist es hilfreich, sie zu fragen, was sie in der damaligen „Zwischenzeit“ und seit der Beerdigung gut gemacht, gekonnt und geschafft haben und was und wer ihnen dabei geholfen hat und hilft. Es tut Trauernden gut, wenn sie nach ihren persönlichen Ritualen und nach Zeichen der Verbundenheit über den Tod hinaus gefragt oder dazu angeregt werden. (Keinesfalls hilft hier das Wort „loslassen“ aus dem Mund des Begleiters.)
  • Wenn die Betroffenen religiös sind, ruft die Seelsorge Engel, Heilige, Namenspatronen an, die den Hirntoten und die Angehörigen in dieser belastenden Zeit begleiten. Seelsorge würdigt das Leben und die Spendentat des Verstorbenen und bittet um Segen, der auf dieser Spende ruhen möge. Außerdem lässt sie die Entscheidung der Angehörigen und das, was sie in dieser Zeit als Bestmögliches geleistet haben, vor Gott gelten und segnet sie.

Ziel dieser Begleitung ist, die Angehörigen zu befähigen, psychisch, mental und spirituell das zusammen zu fügen, was die Medizin auseinander genommen hat. Damit dieser Einschnitt „geheilt“ wird, sie Frieden mit dem Ereignis der Organspende finden und so ihre „normale“ Trauer leben können. Angehörige von Organspendern sind ja außer von der Spende belastete, in erster Linie Menschen, die einen geliebten Nahestehenden verloren haben und damit, wie viele andere mit diesem Schicksal, Trauernde.

Literatur:

  1. Weiher E, Feldmann K-H (2010) Seelsorge und Krisenbegleitung bei Hirntod und Organentnahme. Zeitschrift für Medizinische Ethik 56:57-69.
  2. Ausführlich hierzu: Weiher (2008) Das Geheimnis des Lebens berühren. Spiritualität bei Krankheit, Sterben, Tod. Eine Grammatik für Helfende. Stuttgart 4. Aufl. 2014: 375-381.