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Was unter „Seele“ zu verstehen ist

Aus dem Denken der Medizin einschließlich der Psychologie und Psychiatrie ist der Begriff „Seele“ schon lange verbannt. Diese Disziplinen haben sich auf Phänomene am Menschen fokussiert, die sie mit naturwissenschaftlichen Methoden untersuchen können und damit auch zu behandeln suchen. In der Alltagspsychologie und -sprache dagegen ist der Begriff nach wie vor etwas Selbstverständliches. Auch die neurowissenschaftliche Forschung beschäftigt sich mit der Frage, wie Bewusstsein und Selbstempfinden zustande kommen. Viele Autoren betonen, dass es die Vorstellung von „Seele“ als materielle (und damit im Körper lokalisierbare) „Substanz“ nicht braucht und man doch von einem Strukturprinzip ausgehen muss, das es dem Menschen ermöglicht, ein innerstes Selbst, das Empfinden einer durchgehenden Biografie und eine bedeutungsvolle Innenwelt auszubilden. Während in der Moderne „Geist“ mehr die Verstandesfunktion, „Körper“ die physische Verfasstheit und „Psyche“ die untersuchbare Gefühls- und Motivwelt des Menschen meint, wäre die Seele das, was diese Funktionen zu einem Ganzen, zu einem Icherleben zusammenklingen lässt. „Seele“ ist dann das Symbolwort für etwas objektiv nicht Darstellbares: die organisierende und integrierende Mitte des Menschen. Spirituell und religiös gesprochen ist es der vom heiligen Geist geschenkte Lebenshauch und -atem, der den Menschen zur lebendigen und liebesfähigen Person macht. Zugleich hat diese innerste Instanz auch die Fähigkeit zu spiritueller Erfahrung und zur Transzendenzbeziehung. Letztlich ist die „Seele“ dann die heilige Mitte eines jeden Menschen.

Auch wenn die Seele nicht einer bestimmten Region im Gehirn oder sonst im Körper zugeordnet werden kann, ist es doch höchst sinnvoll, bei allen Begegnungen und Behandlungen jedem Menschen (s)eine Seele zu glauben: dem bewusstseinsmächtigen wie dem komatösen Patienten, dem Menschen mit fremder Kultur und Sprache, dem psychisch wie dem dementiell Erkrankten und sogar dem gerade Verstorbenen. Es gilt also, nicht nur den biopsychischen Apparat eines Menschen, sondern ihn selbst zum Adressaten beruflicher Zuwendung zu „machen“ und ihm mit diesem Ganzheitsbild zu begegnen. Es ist entscheidend für die Humanität von Behandlung und Begleitung, bei der Vorstellung „Seele“ zu bleiben, die zu aller Zeit und in allen Kulturen die unverfügbare und zugleich mit Selbstempfinden erfüllte Innenseite von Leben und Menschsein ausdrückt. So ist es – ob naturwissenschaftlich begründet oder nicht – eine vernünftige Form der Sinnstiftung und der spirituellen Einstellung, diese Sicht des Menschen zur Grundlage der „Arbeit“ mit Klienten und ihrem Schicksal zu machen.