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Warum ist es (neuerdings wieder) erlaubt zu trösten?

„Dass Menschen verletzlich sind, ist eigentlich eine triviale Erkenntnis. Verletzlichkeit ist zuallererst eine anthropologische Kategorie…. „

„Krankheit beeinträchtigt nicht nur unser allgemeines Wohlergehen – sie erschüttert uns in unserem Selbstverständnis, in unserer Orientierung, die wir notwendig brauchen, um uns mit uns selbst und in der Welt zurechtzufinden … Krankheit deckt ex negativo auf, was im Zustand der Gesundheit „verborgen“ bleibt: die existenzielle Notwendigkeit des Gleichgewichts …. der Integrität. Dass diese keine Selbstverständlichkeit ist, bringt der Begriff der Verletzlichkeit zum Ausdruck.“ (frei nach H. G. Gadamer)

„Der Begriff des Trostes hat eine viel weitere, tiefere Bedeutung, als man ihm bewusst zuzuschreiben pflegt. Der Mensch ist ein trostsuchendes Wesen … der Trost ist das merkwürdige Erlebnis, das zwar das Leiden bestehen lässt, aber sozusagen das Leiden am Leiden aufhebt, er betrifft nicht das Übel selbst, sondern dessen Reflex in der tiefsten Instanz der Seele“ (Simmel 1923).

„Der Mensch ist das Wesen, welches Blöße hat“ (H. Blumenberg). Diese Blöße besteht in der vom Menschen nicht auszuräumenden, nicht wegzurationalisierenden Grundlosigkeit seiner Existenz.

„Trost erscheint in Blumenbergs Darstellung … als Kompensationsstrategie für die Erfahrung von Kontingenz. … Er bezieht sich auf den anthropologischen Sinn der Verletzlichkeit, die sich in Erfahrungen des Ausgeliefertseins manifestiert.“

„Der Trost verdeckt die Verletzlichkeit, die uns im Zustand der Gesundheit verborgen bleibt, die aber in der Krankheit entdeckt wird – aber anders als die Gesundheit, die die Gesundheit einfach „vergessen“ machen kann, ist der Trost eine aktive Antwort auf der Grundlage der Erfahrung der Verletzlichkeit; er ist eine „rhetorische Figur“, die die Wirklichkeit praktisch „verhüllt“, um sie erträglich zu machen.“ … „Der Mensch ist das Wesen, das „trotzdem“ zu leben vermag.“

Der leidende Mensch kann sein Leiden in gewisser Weise an den anderen „überantworten“ oder zur Vertretung übergeben. … Leid scheint dennoch durch diese Anteilnahme beeinflussbar zu sein, durch die fiktive Übernahmen des Leidens, die Simulation des Leids – und dies ist der Trost, der sowohl die Untröstbarkeit als auch das Trostbedürfnis ernstnimmt.

(Zitate aus Hille Haker: Vom Umgang mit der Verletzlichkeit des Menschen. In: Bobbert, M (Hg) Zwischen Parteilichkeit und Gerechtigkeit. Berlin 2015, 195-225)