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Symbolische Kommunikation in Seelsorge und Spiritual Care

Vielen Dank für die Einladung zu einem Thema, das auf der einen Seite fast selbstverständlich ist – weil Kommunikation sich eigentlich immer in einem gewissen Sinn symbolischer Mittel bedient. Auf der anderen Seite aber ist Kommunikation mit Menschen erst recht am Ende des Lebens eine sehr sensible und anspruchsvolle Angelegenheit, die auch eine besondere Aufmerksamkeit braucht.

Diesem Beitrag sei ein Motto vorangestellt, eine Aussage des englischen Medizinethikers David Roy: „Was tun wir denn, wenn wir keine Sprache finden, innerhalb derer wir die Unsicherheiten zusammen erleiden können?“ Mit den „Unsicherheiten“ meint Roy die Begegnung mit Menschen und ihrem Schicksal – also mit Kranken, Sterbenden, Trauernden.

  1. Auf der Suche nach Auffangmöglichkeiten für das Schicksal

Wie sind Menschen im Lauf der Zeit dem Schicksal begegnet? Der Medizinsoziologe Tony Walter (1994) hat die Wandlungen in der Bewältigungsstrategie bei Krankheit, Sterben, Tod im Lauf der Zeit untersucht und drei Epochen herausgearbeitet: eine traditionelle Zeit, eine Zeit der Moderne und die postmoderne Zeit.

1.1 Die Zeit der Tradition

In der traditionellen Zeit gab es eine Sprache, mit der die Menschen dem Schicksal begegnen konnten. Diese Sprache hat über einige zehntausend Jahre funktioniert. Die Sprache um Leben und Sterben war einigermaßen einheitlich. Es ist und war die Religion und die religiöse Weltdeutung, die für Krankheit und Sterben eine Sinnstruktur angeboten haben. Religion aber nicht abstrakt in Form von Glaubenssätzen, sondern immer verbunden mit einer Kultur, einer Kultur von Ritualen, Symbolen, Mythen und Werten. Die psychosoziale Seite des Menschen war aufgehoben und wurde versorgt durch die Nahbeziehungen von Familie und Gemeinschaft. Man konnte gemeinsam die Räume des Sterbens und der Trauer begehen.

1.2 Zeit der Moderne

Im Lauf des 19. Jahrhunderts entwickelte die Medizin ein früher nicht vorstellbares naturwissenschaftlich basiertes Arsenal an Theorien, Techniken und Behandlungsmethoden, mit denen sie auch schweren Krankheiten begegnen konnte. In der ganzen Breite hat sich diese Medizin dann im Lauf des 20. Jahrhunderts entfaltet und zunehmend den gesamten Umgang mit Krankheit, Krisen und Sterben beherrscht. Wie alle naturwissenschaftlich orientierten Disziplinen musste auch die Medizin eine objektivierende Sprache entwickeln. Die Sprache für das Existenzielle, für das Erleben der Patienten ging allmählich verloren. Man glaubte, alle Fragen des Lebens ließen sich naturwissenschaftlich und technisch lösen. Für eine existenzielle Sprache gab es in dieser Logik anscheinend keinen Bedarf und im Gefolge davon auch keine Praxis mehr. Diese „Medizin der Moderne“ (T. Walter) konnte in ihrer Logik mit dem Erleben und den Gefühlen der Patienten nichts mehr anfangen. Das Erleben wurde zur Privatsache der Betroffenen. Das Sterben wurde mit Schweigen umgeben – der Patient und seine Familie mussten selbst sehen, wie sie mit dem Schicksal zurechtkamen.

1.3 Der Weg in die Nachmoderne

Das ging so bis in die 1970iger Jahre. Mit der Popularisierung der Psychologie begann eine neue Entwicklung. Als Stichwort dafür soll der Name „Elisabeth Kübler-Ross“ stehen. Mit ihren Arbeiten kam das innere Erleben der Sterbenden in den Blick. Das Subjekt wurde wieder entdeckt. Es war das Sterbethema, das auf die subjektive Sprache der Menschen aufmerksam machte. Die sogenannte Sterbephasen waren allerdings in psychologisch-psychiatrischer Sprache formuliert – aber immerhin: Diese Sichtweise führte zur Forderung nach ganzheitlicher Betreuung von Kranken und Sterbenden. Die Weltgesundheitsorganisation hat die Ganzheitlichkeit zum Konzept der Palliativbetreuung gemacht – also wenigstens der Betreuung der Menschen, bei denen die Mittel und Methoden der Medizin gegen die Krankheit ausgeschöpft sind. Jetzt finden also auch die anderen Dimensionen der Patienten und ihrer Angehörigen Beachtung: neben der körperlichen auch die psychische und die soziale und sogar die spirituelle Dimension. Gerade bei der Bedrohung des Lebens spielen heute oft die nichtmedizinischen Aspekte eine größere Rolle. Die körperlichen Probleme sind einigermaßen beherrschbar. Jetzt treten die psychischen, die mentalen und die sozialen Probleme in den Vordergrund; erst recht aber die existenziellen. Die existenzielle Dimension ist sozusagen der innere Sammel- und Verdichtungsort der anderen Aspekte.

  1. Entwicklungen im Menschenbild

Was bedeutet das für das Menschenbild der jeweiligen Zeiten?

    1. Traditionelle Zeit

In der traditionellen Zeit ist das Menschenbild von der Vorstellung von Leib und Seele bestimmt. Dabei war der „Geist“ des Menschen mit eingeschlossen. Er ist einerseits ein Aspekt des Leibes – die Ausstattung für geistige Leistungen, und andererseits ein Aspekt der Seele: die Offenheit für „das Höhere“. Der Mensch ist also ein Leib-Seele-Wesen.

2.2 Zeit der Moderne

Das Menschenbild, das der Medizin der Moderne zugrunde lag, enthielt nur noch Körper und Geist. „Geist“ im Sinn der Rationalität. – Die Seele kam in diesem Bild vom Menschen nicht mehr vor. Damit konnte man weder in der Medizin noch in der ursprünglichen Seelenkunde, der Psychologie und der Psychiatrie, etwas anfangen. Da die Seele kein objektiv darstellbares Phänomen ist, wurde sie aus dem wissenschaftlichen Denken ausgeklammert und der Religion und damit dem Übersinnlichen zugewiesen.

2.3 Übergang zur Postmoderne

Durch die Rückkehr der Psychologie in die Wahrnehmung des Menschen aber fand ein Stellvertreter für die Seele im Umgang mit Kranken wieder Anschluss an die therapeutischen Berufe: die Psyche. Die Psyche als der objektiv untersuchbare und behandelbare Teil, weil der ja auch störungsanfällig und durch die Todesdrohung und das Sterben in Mitleidenschaft gezogen ist. Das psychisch- emotionale Erleben in Krisen gab es natürlich auch in der Vormoderne. In der traditionellen Zeit war es mitversorgt durch die soziale Einbettung, durch die Familie und Nachbarschaft. Von einer „Psyche“ zu reden, war solange nicht notwendig, als die sozialen Netze noch nicht so dünn und die von Krankheit Betroffenen psychosozial versorgt waren.

Der Mensch ist also ein Körper-Psyche-Geist-Wesen. Wenn man noch die soziale Dimension hinzunimmt, heißt das für das Menschenbild: Der Mensch ist Körper, Psyche, Geist in seiner sozialen Verfasstheit. – „Geist“ wird heute nicht nur als Rationalität gesehen, sondern mehr als „Organ“ für die Bewusstheit des Menschen als Ausstattung für kognitive und mentale Prozesse und Gedankengebäude, und dafür, sich seiner selbst und seiner Autonomie bewusst zu sein.

2.4 Ein „Organ“ für Existenzerfahrung und Spiritualität

Was in diesem Menschenbild der Postmoderne zunächst nicht vorkommt, ist die existenzielle Dimension. Die ist ja bei Widerfahrnissen des Lebens, erst recht bei schwerer Krankheit, bei Sterben und Trauer besonders virulent. Mit „existenziell“ ist gemeint: es geht um die Existenz, um das eigene Dasein als Ganzes.

Zu dieser existenziellen Dimension – also dem Betroffen-sein bis in das ganze Dasein hinein – kann man folgende Prämisse machen:

Das existenzielle Empfinden ist nicht neutral. Es ist immer mit der Beziehung verbunden

  • die ein Mensch zu seinem Dasein empfindet
  • die er zu seiner Existenz aufnimmt und die er pflegt
  • wodurch er also (seine) Existenz deutet.

Ein Wort von Paul Watzlawick (1995) mag das unterstreichen: „Ein Leben ohne eine Annahme über die Wirklichkeit, ohne einen Sinn, ist unerträglich“. Krankheit, Sterben und drohender Tod verlangen nach Sinngebung. In der Moderne, erst recht aber in der Postmoderne gibt es keine Sinn- und Sprachräume mehr, die von allen Menschen geteilt werden und die allen gemeinsam sind. Die Deutung seines Schicksals muss vielmehr jeder Mensch ganz persönlich finden. Es gilt also, Betroffene in ihrer je eigenen Sinnsuche und -gebung wahrzunehmen und zu begleiten.

Was nun die Beziehung zur je eigenen Existenz an Deutung und Wertigkeit enthält, die Art, wie ein Mensch zu seiner Existenz Beziehung pflegt, ist letztlich seine „Spiritualität“.

Spiritualität ist also die Antwort, die Reaktion auf Existenzerfahrung. Daraus folgt eine zweite Prämisse, für das Thema „symbolische Kommunikation“:

Ich glaube jedem Menschen, dass er aus einem inneren „Geist“, (s)einem inneren Potenzial heraus seinem Dasein begegnet und sein Leben gestaltet. Dieses innere, sehr persönliche Potenzial, dieser innere „Geist“ (nicht „Intellekt“) ist seine Spiritualität.

Hier schließt sich die dritte Prämisse an, von der ich in den Begegnungen mit Menschen in Lebenskrisen und Krankheit ausgehe:

Ich „glaube“ jedem Menschen (s)eine Seele. Das komplettiert mein im Folgenden zugrunde gelegtes Menschenbild. („Mein“ Bild, denn ein allgemein gültiges gibt es nicht). Eine Seele „glauben“ bedeutet hier: aus der überlieferten Seelenvorstellung, die ja auch zu „glauben“ ist, schöpfen und in der Begegnung mit Patienten – z.B. Patienten im Koma, Demenzkranken, kommunikationseingeschränkten oder psychiatrisch gestörten Patienten – der jeweiligen Person unterstellen. Der Begriff „Seele“ ist ein Symbolwort für das Ganzheitsempfinden des Menschen. Bildlich gesprochen: ein „Organ“ für sein existenzielles Empfinden und für die Deutung seines Daseins – also seine Spiritualität.

„Seele“ ist also eine Metapher für die innerste Integrationsfähigkeit der Person, die die anderen Dimensionen, die körperliche, psychische, mentale und soziale integriert. Es ist wie gesagt eine Metapher, ein unverzichtbares Urwort, kein experimentell darstellbarer, geschweige denn lokalisierbarer Mechanismus im Gehirn oder in Herznähe. Es ist ja nicht das Gehirn, das sich durch Krankheit existenziell bedroht sieht. Es ist vielmehr die Person, die ihr Dasein empfindet, deutet und entwirft. Und die Personmitte nenne ich Seele. Die Seele ist danach nicht auf eine rein religiöse Vorstellung zu reduzieren. Wenn sie ein rein religiöser Begriff wäre, bräuchte man sie im säkularen und damit auch alltäglichem Umgang mit Patienten und Klienten nicht.

2.5 Wie ist Spiritualität heute zu verstehen?

Die existenzielle und damit auch die spirituelle Dimension ist jedem Menschen zuzuschreiben. Der Begriff „Spiritualität“ ist nicht identisch mit „Religion“. Religion ist ein bestimmtes Deutungssystem, ein System von Bildern, Erzählungen, Ritualen und Werten, das von einer Gemeinschaft getragen und gepflegt wird. Das heißt aber nicht, dass – wie oft behauptet wird – Religion nichts mit Spiritualität zu tun hätte. Es ist gerade das tiefste Anliegen jeder Religion, Menschen spirituell zu ernähren. Aber spirituelle Erfahrung und Anregung gibt es natürlich auch außerhalb religiöser Systeme.

Spiritualität soll hier noch etwas praxistauglicher definiert werden, weil es ja in diesem Beitrag um Spiritual Care geht. Spiritual Care ist nicht nur Aufgabe der Fachseelsorge. Auch die anderen Berufe begegnen der Spiritualität von Patienten und Angehörigen. Spiritualität wartet nämlich nicht, bis der Religionsvertreter vorbeikommt.

Spiritualität ist natürlich der spezifische Focus der Seelsorge, wie die körperliche und die physiologische Verfasstheit des Menschen der spezifische Focus der medizinischen Berufe ist. Aber in jeder Begegnungs- und Behandlungssituation kann sich das Spirituelle melden und darf aus Gründen der Ganzheitlichkeit nicht übergangen werden. Daher ist eine konkretere Umschreibung von Spiritualität hilfreich:

Spiritualität ist das (bewusste und nicht bewusste) Potenzial eines Menschen an

  • Selbst- und Weltempfinden
  • Sinnerfahrungen und Sinngestaltungen.
  • Lebenseinstellungen und -haltungen.

Aus diesem Potenzial heraus

  • erhalten Leben, Person, Welt Bedeutung
  • und geben Menschen sich und dem Leben Bedeutung.

Das alles gehört zu meinem anthropologischen Koordinatensystem für das Thema: Kommunikation mit Sterbenden in Seelsorge und Spiritual Care.

  1. Symbolische Kommunikation konkret

Ein vorzügliches Medium für Spiritual Care und Seelsorge (d.h. überhaupt für die Kommunikation in existenziell aufgeladenen Situationen) ist die symbolische Kommunikation.

Wie aber kann das im Berufsalltag – oft in der Kurzzeit-Begegnung – im beruflichen Setting gehen, in dem für die therapeutischen Berufe der Focus nicht das Existenzielle ist und auch gar nicht sein kann? Patient und Klient kommen ja wegen körperlicher oder psychischer Probleme zum Fachmann, in die Facheinrichtung. Aber seine existenzielle Betroffenheit bringt der Patient natürlich mit in die Praxis, in die Behandlungssituation. Genauso wie er seine Gefühle und sozialen Sorgen in sich trägt. Das Anliegen von Spiritual Care ist ja, den Kranken nicht nur körperlich, sondern auch existenziell wahrzunehmen und ihn auch dort zu be-sorgen: „Care“. Es geht darum, Patienten in ihrem innersten Kern, also auch in ihrer Seele so zu unterstützen, dass sie ihre Krisen-, Krankheits- und Sterbezeit besser bewältigen können.

Die Perspektive der symbolischen Kommunikation ist also die Suche auch nach spirituellen Ressourcen als Antwort auf die existenziellen Herausforderungen. – Was also ist die Sprache der Seele, der wir in all unseren Patientenbeziehungen begegnen? Wie kommt der „innere Geist“, also die existenzielle und spirituelle Erfahrung zum Vorschein, so dass wir Patienten in dieser Dimension unterstützen können?

3.1 Wie die Seele eine Sprache findet

Eine wichtige Erfahrung der Seelsorge ist: Menschen drücken in der Auseinandersetzung mit ihrem Schicksal etwas Tieferes von sich aus als nur ihre Gefühle. Sie sprechen aber auch nicht gleich über die höchsten Dinge, nicht über ihre gesamte Weltsicht, nicht über ihre Existenzdeutung im Ganzen. Sie bringen auch nicht gleich Gott ins Spiel (so dramatisch und ernst möge es doch bitte nicht gleich sein!) und doch äußern sie etwas Wesentliches von sich.

Ein Beispiel soll das verdeutlichen: Da sagt ein Patient auf der Palliativstation nachdenklich: „Ja, dieses Jahr bin ich zum ersten Mal nicht in meinem Weinberg.“

Was will er damit sagen?

  • Ist das Flucht aus seiner bedrohlichen Situation und seiner Wirklichkeit?
  • Kann er sich ohne diese Arbeit nicht vorstellen?
  • Will er mit Hilfe der Medizin noch mal diesen Ort aufsuchen?

Mein Plädoyer bei solchen Aussagen:

Hier gilt es, sich von allzu schnellen Deutungen zu enthalten. Diese habe ich als Begegner vielleicht sofort im Hinterkopf – aber da müssen sie zunächst auch bleiben.

Es geht nämlich in erster Linie darum, was der Patient damit andeuten will – was da an Lebensempfinden, Lebenserfahrung und Lebensvorstellung darin steckt. Die Selbstdeutung des Patienten geht vor aller Fremddeutung.

Bei solchen Äußerungen gibt es ganz einfache Zugänge, die den „Raum“ für Bedeutungen offenhalten. Als Begleiter kann ich sagen: „Weinberg …“? Oder: „Zum ersten Mal nicht …“? Oder ich kann einen Stuhl herbeiziehen und damit einen offenen Raum, eine Zeit zur Verfügung stellen, in denen sich der Patient weiter entwerfen kann: „Weinberg? Erzählen Sie mal…“.

Der Begleiter muss zunächst in der Eigensprache des Klienten bleiben. Dort ist die Bedeutung reichhaltiger und persönlicher, als wenn der Begleiter ihm das deutet. Hier ist er auf der Suche nach seinem Selbstwert angesichts des drohenden Todes. Dafür braucht er ein Gegenüber, das den Umgang an Bedeutung wenigstens ansatzweise mitvollziehen kann. Dadurch wird die Bedeutung für den Klienten sogar noch voller und tiefer. Dann kann er sich seiner Bedeutung als Subjekt versichern. (Übrigens: Das Wort „Deutung“ kommt etymologisch von „Kraft, Stärke“. (Kluge2002) In seiner Alltagsaussage steckt Kraft, die will wahrgenommen und gefunden werden.)

Ein Analyseinstrument für solche (und im Grund für jede persönlich gemeinte Äußerung) liefert der Pastoralpsychologe und Seelsorge-Lehrer Gert Hartmann (1993).

Danach kann man – anders als in der klassischen Kommunikationstheorie – vier Ebenen analysieren:

eine Sachebene, eine Gefühlsebene, eine Identitäts- und eine Spiritualitätsebene. Hier geht es also außer um Emotionen um Identität: „so jemand bin ich“ – es geht um Selbstvergewisserung und Darstellung des Selbst vor dem Begleiter. Es geht also um einen Gehalt, der über die rein sachliche, aber auch über die psychologische Dimension hinausgeht und der in die spirituelle Dimension reicht in die Lebens- und Sinnvorstellung dieses Menschen.

Solche Lebens- und Identitätsäußerungen sind also als Sprache der Seele zu verstehen. Statt (erst recht bei Krisenbegleitung und Bedrohung der Existenz) auf den klassischen „vier Ohren“ zu hören, sollte man auch auf die existenzielle Betroffenheit und auf den darin sich zeigenden Schatz achten. Dieser Schatz ist darin implizit enthalten – eingewoben oft in Alltagsäußerungen. Es gilt, die spirituelle Dimension zunächst wahrzunehmen und mitzuhören. Eine andere Frage ist, ob diese Spur weiterverfolgt und vertieft werden soll, und in der Felddynamik welcher Berufsrolle dies geschehen soll oder seine Grenze hat.

3.2 Die Aufgabe des Begleiters

Hier brauchen die Klienten den Begegner, den Arzt, die Pflegeperson, die Seelsorge in erster Linie als Resonanzinstrument für ihre Selbstdeutung. Hier geht es um das einem Menschen Heilige – was ihm in seinem Leben zutiefst wertvoll und kostbar ist. Hier wird „das Heilige“ in Alltagsform vorgezeigt. Dafür ist der Begleiter zunächst nur Resonanzpartner – damit sich in seinem Beisein die Kraft dieses Symbols entfalten kann.

Der Begleiter hilft dem Patienten bei seiner Selbsterkundung – das ist der erste Schritt. Der zweite Schritt heißt: Wertschätzung und Würdigung.

  • Die Deutung: der Patient will mit Hilfe der Medizin nochmal in seinen Weinberg …, greift als spontaner Lösungsversuch des Helfers zu kurz.
  • Die Deutung: „Flucht und Verdrängung“ ist eine psychologische Kategorie, die die Aussage als defizitär erklärt.
  • „Der kann wohl ohne Arbeit nicht leben“ – das ist Küchenpsychologie.

Diese Art der Symbolisierung braucht zunächst neutrale Reaktionen durch den Begleiter. Er sollte weder gleich den Weg über die Gefühle („und da sind Sie traurig, dass das in diesem Jahr…“) noch über das Kognitive („Was bedeutet der Weinberg für Sie?“ „Warum ist Ihnen das so wichtig?“) noch über das Tun und den Realisierungsmodus („Warum geht das nicht mehr?“ „Die Ärzte können Ihnen sicher helfen, dass …“) wählen. Vielmehr ist eine anfängliche Neutralität wichtig, damit der Klient mit seinem persönlich Bedeutungsvollen in Beziehung bleiben kann und er nicht durch die Gefühls-, Denk- oder Tu-Reaktionen davon weg – und auf andere (des Begleiters) Spuren gelenkt wird.

Die Symbolisierung des Patienten ist als Suche nach Ressourcen angesichts des bedrohten Lebens und des bedrohten Selbstwertes zu sehen. Der Klient nimmt ein Medium (Geste, Gegenstand, Geschichte) um mit etwas Vorzeigbarem auf etwas ihm Bedeutungsvolles aus seinem Inneren hinzuweisen. Viele Menschen präsentieren dieses Bedeutungsvolle nicht in begrifflicher Sprache. Sie lassen den Begleiter an ihrem Innersten teilhaben, ohne das ausdrücklich zu beabsichtigen. Vielmehr „symbolisieren“ sie wie ein Kind, das spielt, das aber nicht darüber nachdenkt, dass es spielt und sich dennoch inszeniert.

3.3 Zu Sinn und Gebrauch von Symbolen

Im Folgenden seien einige wichtige Charakteristika vorgestellt, die zu diesem Symbolverständnis gehören und die auch für den Umgang mit Symbolen entscheidend sind.

  1. Gerade in existenziell bestimmten Situationen ist davon auszugehen, dass der Gesprächspartner über die rein sachliche Seite hinaus verstanden werden will. Seine Äußerungen können als Ausdruck seiner Identität und Spiritualität gelesen werden, ohne dass dem Klienten damit Gewalt angetan wird, solange der Begleiter die Identitäts- und Spiritualitätsdimension nicht von sich aus und vorschnell inhaltlich deutet.
  2. Symbole dieser Art enthalten Gefühle, gehen aber nicht darin auf. Es ist „unangemessen Gefühle zu verbalisieren, nachdem symbolisch von Existenz, Identität und Spiritualität“ (Hartmann 1993:66) – und sogar vom Heiligen dieses Menschen die Rede ist.
  3. Das Geäußerte erschöpft sich nicht in der Vergangenheit, in der Erinnerung. Für den Patienten ist das Nichtanwesende im Symbol anwesend. Er „ist“ jetzt in seinem Weinberg.
  4. Im Symbol sind Verlust und Ressource eingeschlossen. Jedes Defizit, jede Trauer hat eine Rückseite, das ist die Liebe, die Verbundenheit, die Lebensleistung. Auch was nicht mehr geht, gehört im Symbol doch zu mir. – Die Begleiter dürfen nicht auf der Defizit-Seite bleiben, das führt nicht weiter.
  5. Das führt zu einem weiteren Charakteristikum. Solche Symbole haben einen viel größeren Umfang als das, was davon eingelöst werden kann. Im Beispiel vom Weinberg: Wenn wir daran denken, die beste Lösung für die Defiziterfahrung sei, ihn nochmal dorthin zu bringen – dann kann das Eingelöste enttäuschender sein, als wenn er diesen Ort nicht nochmal aufsucht (z.B. haben die Erntehelfer die Reben vielleicht falsch angebunden.) Symbole sind eine Landschaft von Bedeutung. Sie enthalten die Essenz von vielen Erfahrungen im Weinberg, von Gelingen und Misslingen, von Sommer und Winter. In Symbolen wird das Ganze aufgerufen. Sie präsentieren kondensierte Lebenserfahrung, Lebensleistung, die mit dem Schwierigen zusammen erbracht und errungen wurde. – Gerade angesichts des Nichteinlösbaren und Verlorenen verdichtet sich der Inhalt eher, wird kostbarer und kraftvoller als das Einlösbare. Das gehört zur eigentümlichen Logik der symbolischen Kommunikation: Das Verlorene wird – obwohl verloren – zum unverlierbaren Schatz, der immer wieder aufgerufen werden kann.
  6. Patienten machen also eine Art Biographiearbeit: sie tun es aber nicht in systematisch begleiteter oder geführter Form. In ihren Symbolen schläft sozusagen ihre ganze innere Welt. Sie eignen sich – erst recht als Sterbende – „ihre Lebensspanne“ an (Petzold 1984). Dann entstehen Vertrauensbrücken aus der angeeigneten Lebensgeschichte. Das belebt die Welt, in der man und mit der zusammen man stirbt. – Es sind also nicht erst die großen Vertrauensbrücken der Religion und geprägter Spiritualitäten, die hinüber führen. Sehr wohl aber können beide – das Alltagsymbol und das religiöse – aneinander Anschluss finden. Dann kann das biographische Symbol in Beziehung zum großen Symbol der Religion treten und in dessen Horizont an Bedeutungskraft gewinnen. Berührt wird in dieser Art nicht strukturierter Biographiearbeit etwas vom Leben. Gemeint aber ist das Ganze des gelebten Lebens – und dazu gehört auch das nicht Realisierbare und nur Ersehnte. Es reichen z.B. bei Trauer kleine Schlüsselreize, um eine ganze (vergangene, aber auf diese Weise anwesende) Welt zu aktivieren. So klein die Sache als Symbolträger oft ist, um so viel größer ist oft die Bedeutung für die Betroffenen. Bei Trauernden kann z.B. der Rest der Seite, die man mit dem verstorbenen Partner geteilt hat, eine ganze Beziehung, den ganzen Verlust und als Rückseite die ganze Liebe wachrufen.
  7. Gerade Schwer- und Sterbenskranke symbolisieren oft auch ihre Ambivalenz im Umgang mit dem drohenden Tod. Sie enthalten neben dem Ersehnten auch das Schwierige, Angstbesetzte, das, wo ein Mensch in der Krise noch nicht ist. Symbole werden dann zu einer Art Schaukel: Die Schwerkranken gehen mal auf die Hoffnungsseite – und wenn sie sich dort genügend Kraft geholt haben, sind sie fähig, auch auf die Trauerseite zu gehen. Das Symbol gibt Schutz und Spielraum, um sich dem Schwierigen anzunähern. Oder umgekehrt: der Schwerkranke geht im Raum der Möglichkeiten auf die Seite der Hoffnungslosigkeit und Klage. Und erst, wenn er die bei sich zugelassen und ausgeklagt hat (und der Begleiter sie zulässt) kann er sich auf die Selbstwert-Seite einlassen. Als Begleiter habe ich nicht das Recht, die Ambivalenz von mir aus vorzeitig aufzulösen. Es geht nicht um mein Wissen als Behandler. Wenn z.B. der Patient bei der Vorstellung des Pfarrers sofort an das Lebensende erinnert wird und entsetzt fragt: „Ist es schon so weit?“ , dann habe ich mit ihm seine Symbolisierung, also das Dritte (sein Drittes) zu erschließen. Sonst wird die symbolische Differenz aufgehoben. In der Zweipoligkeit (Ja – es ist bald soweit, oder: Nein – Sie brauchen keine Angst zu haben) wird das Symbol platt, die Triangel wird in Linearität aufgelöst. – Oft sagen Schwerkranke selbst am Ende ihres „Schaukelprozesses“: „Aber ich weiß nicht, ob ich das nochmal kann. Vielleicht muss ich einen anderen Weg gehen.“ Dazu sind sie möglicherweise erst fähig, wenn sie vorher aus ihrer Lebens- und Sinngeschichte ein „Nest“ gebaut haben, in dem sie ihre Trauer bergen können.
  8. Auch angesichts des Unwiederbringlichen und Unausweichlichen gilt es, die Symbolisierung des Patienten aufzugreifen. Wenn ein Patient sagt: „Schauen Sie mal meine Beine sind ja nur noch Schaschlikstäbchen“ oder „Ich bin doch nur noch eine Ruine“, dann gilt es, ein „Nest“ aus der Lebensgeschichte zu bauen, in dem er sich mit seiner Trauer aufgehoben fühlt.
  9. Last but not least: Warten wir bei Schwerkranken nicht, bis die vielbeschworenen „großen Symbole Sterbender“ auftauchen: „Die Koffer sind gepackt“, oder wenn der Patient vom „Auto“ spricht (Aha – er denkt an die große Reise). Sondern achten wir schon lange vorher auf die Alltagssymbole und enthalten uns vor vorschnellen Interpretationen.

Dies alles ist wichtig für die alltägliche berufliche Kommunikation Klienten und Patienten.

  1. Der Symbolbegriff im Diskurs

Es gibt aber auch auf der Diskursebene zur symbolischen Kommunikation einiges zu bemerken.

    1. Nur ein Symbol?

Ein Symbol in diesem Sinn ist – anders als oft in der Öffentlichkeit praktiziert – nicht weniger, nicht „nur“ ein Symbol, nur ein Ersatz für Substanz („nur Symbolpolitik“), sondern mehr: Es verweist auf Substanz. Es ist zwar „nur“ ein Symbol im Sinn der symbolischen Differenz zwischen dem Bezeichnenden und dem Bedeutungsgehalt. Insofern ist das „nur“ eine Aufwertung des Gemeinten. Der Gehalt kann durch das Symbol nämlich „nur“ angedeutet, aber nicht vollumfänglich erfasst und vorgezeigt werden.

4.2 Nicht „deuten“, sondern berühren.

Symbole dieser Art haben es nicht verdient, dass sich die Helfer deutend über sie hermachen, weil man die Bedeutung schon zu kennen meint. Ähnlich wie bei Träumen geht es in erster Linie um die Bedeutung, die der Träumer für sich findet. Er ist der Autor seiner Träume. Was die bei ihm auslösen und an Ideen hervorrufen, geht vor jeder zugewiesenen Interpretation. Sie sind auch nicht gleich als Hinweis darauf zu verstehen, was diesen Menschen „eigentlich“ unbewusst an Ambivalenzen und an Konflikten bewegt. Sie sind nicht in erster Linie ein Hinweis auf Verdrängtes und auf nicht anders äußerbare Grundkonflikte. Es muss auch nicht – gerade bei Schwerkranken – alles analysiert und bearbeitet werden. Die Patienten sind weder bei der Seelsorge noch bei den medizinischen Berufen in Psychoanalyse oder Psychotherapie. – Die Seelsorge der 70iger und 80iger Jahre hat sich als „Psychotherapie im kirchlichen Kontext“ verstanden und versucht, die durch das Symbol als verborgen geltende Seite aufzudecken und an die inneren Konflikte des Menschen (wohl als Grund für seine Krankheit?) heranzukommen. Der Begleiter darf – vor allem in Querschnittssituationen – das Geheimnis nur „berühren“. Er muss auch im Geheimnis lassen können, weil es das ganz Persönliche eines anderen Menschen betrifft. Dieser muss selbst entscheiden können, wie weit er Zugang gewährt. Ein Symbol enthüllt und verhüllt zugleich, es bietet Offenbarung und Schutz. Gerade am Kranken- und Sterbebett geht es nicht darum, das Vorgezeigte zu bearbeiten, sehr wohl aber, dazu in Beziehung zu treten und diese Beziehung den Klienten durch behutsame Resonanz spüren zu lassen. Diese Haltung gehört inzwischen zur Professionalität heutiger Seelsorge.

4.3 Die „kleinen“ und die „großen“ Symbole

Mit dieser Art von Symbolbegriff sind auch nicht erst die großen Symbole der Menschheit und der Religion gemeint. Die Symbole der Kunst, der Religion, der Kultur bieten allerdings Identifikationsmöglichkeiten an. Sie öffnen etwas vom Daseinsverständnis vieler Menschen, mit denen diese gelebt und das sie durchlebt haben, das symbolisch überliefert ist. Sie geben etwas bereits Erfahrenes neu zu denken und damit die eigene Welt anzureichern. Sie rufen den einmal erfahrenen Gehalt auf und bringen ihn neu in Beziehung. Sie können das früher erlebte Heilige neu zu spüren geben. Dadurch werden sie zu Hoffnungsbildern, die ihre Kraft nicht erst im Einlösen („Gott sei Dank, es ist gut gegangen“) haben. Sie enthalten vielmehr eine Sinnverheißung, deren Tiefe und Weite nicht einfach verfügbar ist. Diese „großen Symbole der Menschheit und der Religion“ präsentieren eher ein Mehr an Bedeutung, in das hinein und aus dem heraus sich der Mensch entwerfen kann. – In der symbolischen Kommunikation am Krankenbett geht es aber nicht gleich um die sozusagen von außen dem Patienten angebotenen Bilder, sondern um seine Alltagspoesie. Das ist die Sprache seiner Seele. – Die Erfahrung der Seelsorge der letzten Jahrzehnte zeigt, dass auch religiös verwurzelte Patienten zunächst gerne in ihrer persönlichen Identitäts- und Sinnerfahrung wahrgenommen werden wollen. Dann sind sie offen für und interessiert an „größerer“ spiritueller Weisheit und symbolisch vermittelter Sinngebung. – Im Übrigen: Auch Religion (und damit auch Seelsorge) kann das Heilige und den Heiligen (Gott) nur in Bildern, Inszenierungen und Beziehungserfahrungen (Wah 1999) vermitteln, weil ihr „Gegenstand“, das und der ganz Andere gar nicht unmittelbar sinnenfällig vorzeigbar ist.

In der Sprache überhaupt verwenden wir ja permanent Symbolworte. Wir verwenden („ver-wenden“= einem Gebrauch zuführen, so „wenden“, dass man es noch anders, nämlich für Nichtvorzeigbares gebrauchen kann) also Worte, um eine Bedeutung zu vermitteln, die man sinnlich nicht vorzeigen kann. Alle Sprache redet in Bildern, sobald sie irgendetwas aussagen will, was nicht unmittelbar anschaulich ist. Das gilt erst recht für das existenzielle Empfinden und das spirituelle Selbst- und Weltverständnis. Und noch ganz besonders gilt das dafür, was einem Menschen im weiteren und engeren Sinn „heilig“ ist. Sprache kann die innere Wirklichkeit eines Menschen nicht per se abbilden; sie ist nur ein Zeichensystem, das auf ein Mehr an Bedeutung verweist. Zugleich ist Sprache immer auch Interpretation der Wirklichkeit, indem sie auswählt, akzentuiert, Zusammenhänge herstellt und so bewertet.

4.4 Spektrum des Symbolbegriffs

Ein Schema soll den Symbolbegriff erläutern und dabei den Platz von Seelsorge und Spiritual Care veranschaulichen. Dem Symbolbegriff wird man am besten gerecht, wenn man ihn als ganzes Spektrum betrachtet, das sich zwischen den beiden Polen

  • ganz persönliche, subjektive
  • und überindividuell-intersubjektive

Bedeutung erstreckt.

Es reicht von der Symbolisierung des Unbewussten, das von der Psychoanalyse und Psychotherapie bearbeitet wird, bis zu spirituellen und religiösen Sinngebungssystemen von Menschheits- und Glaubensgemeinschaft.

Dazwischen liegen

  • die alltägliche Sprache, die die Beziehung zur Außen- und Mitwelt zu kommunizieren erlaubt und die über die reine Sachebene hinaus immer auch persönliche Bedeutungsgebungen enthält
  • die persönlichen Befindungsäußerungen und sensiblen Botschaften aus der Innenwelt
  • die Lebens- und Sinngeschichten der Klienten
  • die vielgenannte Symbolsprache Sterbender
  • die mehr oder weniger bewusst und erkennbar bildhafte Sprache in Metaphern und Vergleichen
  • der künstlerische Ausdruck z.B. in Poesie, Musik und darstellender Kunst, die von vornherein mehr als Alltagssprache sein wollen
  • die symbolische Darstellung in sozialen Identifikationen und Rollen.

An diesem Spektrum lässt sich deutlich machen, was vorrangig in der Aufmerksamkeit von Spiritual Care und Seelsorge steht: die narrativ vermittelten Identitäts- und Sinnentwürfe und -erfahrungen und die – eher nicht alltägliche – Symbolsprache Sterbender und deren Visionen.

4.5 Es braucht einen pädagogischen Ansatz

In der Psychotherapie sucht und braucht der Klient die Erschließungs- und Deutungshilfe der Therapeuten, weil er sich selbst nicht versteht und nach neuen Zugängen zu sich selbst sucht. Das braucht eigene methodische Vorgaben und ein spezifisches Setting. Gerade in der Palliativ-Situation aber haben die Betroffenen oft keine Kraft und keine Zeit (mehr) für eine psychologische Bearbeitung. Im Alltagsfall dagegen wird die Symbolisierung von der Existenzerfahrung ausgelöst. Am Kranken- und Sterbebett und bei Trauer deutet der Patient explizit oder implizit sich selbst und will auch so verstanden werden. Die symbolische Kommunikation ist also in erster Linie ein pädagogischer und begleitender Ansatz.

4.6 Die Bedeutungskraft vertiefen

Heißt das, dass sich der Begleiter in der Seelsorge total enthalten muss, um ja nicht in den Bedeutungsreichtum des Patienten einzugreifen und diesen zu stören?

Ich denke nicht: In Krankheit und Sterben geht es um existenzielle Herausforderungen. Da reicht die schützende Hülle der Alltagsbilder nicht mehr aus. Es braucht dann potentere Ressourcen, als die Alltagserfahrungen für sich genommen hergeben. Der Patient braucht den Seelsorger nicht als neutralen Spiegel. Zur Strategie und Methodik der Seelsorge gehört deshalb, die Symbole des Patienten weiter zu erschließen, also von der Alltagsspiritualität („zum ersten Mal nicht in meinem Weinberg“) zu Spiritualität höherer Ordnung zu gelangen. Sie versucht, dem nachzugehen, was das Heilige in dieser Aussage ist. Sie bleibt nicht am vorgezeigten Bild oder Gegenstand hängen. Das Zeichen will ja nicht für sich selbst sprechen. Es geht um das, worauf es verweist: eine ganze innere Welt eines anderen Menschen, die der Begleiter nie ganz erfassen kann. Der Begleiter darf nicht der Versuchung nachgeben, das Bild des Patienten nach seinen eigenen Vorstellungen auszudeuten und z.B. zu „wissen“, was man aus einem „Weinberg“ alles herauslesen kann. Zudem ist ja nicht der Weinberg selbst heilig, sondern die darin gemachte Erfahrung, dass der Patient dabei etwas vom Heiligen des Daseins erfahren hat. Die konkrete Lebenserzählung tritt dabei oft zurück. Hilfreich für den Patienten sind dann erschließende Fragen wie: Was für ein Mensch wird man da? Oder was für eine Überschrift oder Unterschrift könnten Sie jetzt über oder unter Ihr Leben setzen? – dahin, ob aus dem Erzählten ein Vermächtnis an die Familie folgen kann, oder ein Ansatz, um das Leben abzurunden. – Letztlich vermag erst eine „Spiritualität höherer Ordnung“ ausreichende Tragekräfte zu bieten, mit denen Patienten den existenziellen Erfahrungen am Ende des Lebens begegnen können.

Die gleiche Methodik gilt für die Frage des „Warum“, für die nach Schuld, nach Sinn, für Angst- und Trauererfahrung. Dann kann das Symbol zum Nest werden für die Trauer, damit sie nicht zur Verzweiflung führt.

Seelsorge bringt natürlich auch die großen Symbole der Religion und der Menschheit ins Spiel, die schon vielen Menschen als Vertrauensbrücken gedient haben. Aber nicht erst und nicht nur die großen Symbole, die in Symbolform gefassten Sinnerfahrungen und Sinngebungen der Menschen können zur Ressource werden, zum „Seil“ an dem ein Kranker oder Sterbender mit dem Unlösbaren umgeht und auf das Unausweichliche zugeht. – Die großen Symbole der Religion sind eine Möglichkeit, mit dem Klienten zu Bedeutungen seines Lebens in einem anderen, dem transzendenten Horizont zu gelangen. Seelsorge bringt die großen Symbole nicht nur als Landkarten zur Orientierung ins Spiel, sondern auch weil ein transzendenter, überweltlicher Horizont die persönliche Bedeutungskraft potenzieren und das eigene Leben und Schicksal dadurch vom Höchsten her Bedeutung und Qualität bekommen kann. Auch wenn Menschen sagen, dass sie keiner Religion angehören, so heißt das nicht, dass sie nicht auch mit Bildern aus dem Fundus der Religion begleitet werden könnten. Seelsorge macht daher auch Symbolangebote aus dem Schatz der Religion oder – bei dezidiert nichtreligiösen Menschen – aus dem Schatz menschheitlicher Spiritualität. Seelsorge muss fähig sein, nicht nur mit den Bildern der eigenen Religion auch Menschen jenseits religiöser Grenzen zu begleiten und mit deren religionsgebundener wie -ungebundener Spiritualität hilfreich umzugehen.

4.7 Die Symbolwirkung der Rolle

Die symbolische Kommunikation ist auch für die anderen, die nichtseelsorglichen Berufe ein Zugang zur Spiritualität des Patienten. Für Spiritual Care ist nicht entscheidend, ob der Patient oder der Behandler selbst religiös sind. Der Königsweg zur spirituellen Begleitung ist auch hier die symbolische Kommunikation ( Weiher 2008). Das soll hier nicht weiter vertieft werden. Aber eins ist dabei wichtig: Auch die nichtseelsorglichen Berufe machen dem Patienten Symbolangebote – und zwar weniger, indem sie die Alltagssymbole weiter vertiefen oder gar bearbeiten, sondern einfach durch ihre Rolle. Die medizinischen Berufe und andere Patientenbegleiter haben ja außer ihrer funktionell-fachlichen Aufgabe noch einen symbolischen Rollenanteil. Sie begegnen Kranken und Sterbenden nicht als Privatpersonen. Vielmehr sind sie Vertreter der Gesellschaft, die ihnen Menschen in Krankheit und am Ende des Lebens über die reine Fachlichkeit hinaus anvertraut. Sie kommen zwar in erster Linie mit der physischen Existenz in Beziehung, aber die steht tatsächlich und symbolisch für die ganze Existenz eines Menschen. Die therapeutischen Berufe werden zunächst Zeugen dafür, wie es medizinisch um den Menschen steht. Dadurch werden sie zugleich auch Zeugen für das existenzielle Schicksal dieses Menschen. Sie bringen also mit ihrer Facharbeit auch die existenzielle Dimension mit ans Krankenbett. Insofern haben sie eine überpersönliche, eine menschheitliche Symbolrolle, von der sich die Betroffenen in besonderem Maß Aufgefangen-werden und vor allem Wertschätzung erhoffen. Dieser symbolische Anteil der Berufsrolle hat daher eine oft unterschätzte potenzierende Wirkung auf das Selbstwertempfinden des Patienten. Das stärkt die Vertrauensbrücke des Schwerkranken.

Die expliziten wie impliziten Symbolangebote der Begleiter können Vertrauen und Hoffnung nicht machen; sie können Trost nicht „geben“. Auch Religion und Spiritualität geben Vertrauen und Trost nicht wie ein Medikament oder eine Infusion. Wohl eröffnen sie Symbolräume, aus denen Menschen Vertrauen schöpfen können. Was aus dem Symbolangebot an Trost uns Kraft folgt, darüber verfügt allein der Patient. Was er sich daraus „holt“, ist für ihn Trost. –

Der Arzt als Mediziner, der Psychologe als Therapeut machen Hoffnung in dem Sinn, dass sie wirkungsvolle Mittel oder Methoden anbieten und so direkte Hilfe geben können. Hoffnung und Trost werden aber im eigentlichen Sinn erst gebraucht, wenn das Machbare ausgeschöpft ist, wenn das Nichtmachbare und Unlösbare aufgefangen und bewältigt werden müssen.

  1. Rituale als Form der symbolischen Kommunikation

Noch eine weitere Form der symbolischen Kommunikation ist hier zu nennen: die Rituale und symbolischen Handlungen. Rituale geben Bedeutung und Sinn weniger durch Erklärungen und nicht nur durch treffende Worte, sondern vielmehr durch „Tun“, durch Inszenierung. Alle Berufe können das Medium der Rituale nutzen (vgl. Weiher 2008). Es gibt nämlich nicht nur seelsorglich-religiöse („Riten“), sondern auch beruflich anthropologische Rituale. Sie sind ein indirektes Sprachmittel; sie haben Symbolkraft gerade auch dem Unausweichlichen gegenüber. Rituale sind eine Art Container, ein Auffangbehälter für Existenzerfahrung und Schicksal. Sie aktivieren Spiritualität in menschheitlicher und religiöser Form. So werden sie zu Brücken von „hier nach dort“ und von „jetzt nach dann“, ohne dass das Dort und Dann explizit erklärt oder eingelöst werden muss. Insofern transportieren sie implizit Hoffnung und Verheißung: So gelingt auch dein Weg, und so ist und wird es gut im Sinn Gottes. – Rituale machen die Krankheit, das Sterben, die Trauer nicht weg. Sie helfen aber, die Landschaft dieses Schicksals zu begehen und es auf diese Weise in „Sinn“ einzubetten.

  1. Fazit

Die Logik der symbolischen Kommunikation erweist sich gerade bei der Konfrontation mit dem Unausweichlichen des Schicksals: Wenn das medizinisch Machbare und Mechanische ausgereizt ist, werden im Modus der symbolischen Kommunikation Ressourcen als Sinn- und Krafträume erschlossen, mit denen das Schwere und Unvermeidliche besser getragen werden kann. Das Schwere bleibt schwer, aber die Tragflächen werden breiter, mit denen das Schwere getragen werden kann. Das Schwere und die Trauer werden in der symbolisch-spirituellen Kommunikation gerade nicht aufgelöst. Sie bekommen vielmehr in dieser Logik einen sinnvollen Platz, und daraus folgt eine sinnvolle Praxis der Begleitung.

Literatur

Hartmann G (1993) Lebensdeutung. Theologie für die Seelsorge. Göttingen.

Kluge F (2002) Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. Berlin, New York, 24. Aufl. .

Petzold H (1984) Integrative Therapie – der Gestaltansatz in der Begleitung und psychotherapeutischen Betreuung sterbender Menschen. In: Spiegel-Rösing I (Hg) Die Begleitung Sterbender. Paderborn: 431 – 497.

Wahl H (1999) Symbolische Erfahrung: umgestaltete Beziehungserfahrung. Wege zum Menschen 51 Jg.: 447-462.

Walter T (1994) The revival of death. New York.

Watzlawick P (1995) vom Unsinn des Sinns und vom Sinn des Unsinns. München.

Weiher E (2008) das Geheimnis des Lebens berühren. Spiritualität bei Krankheit, Sterben, Tod. Eine Grammatik für Helfende. Stuttgart, 4. Aufl. 2014.