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Funktion und Bedeutung von Religion und Ritual bei Sterben, Tod und Trauer

Erster Horizont: „kleine“ Transzendenz

    1. Funktion
      • An Lebensgrenze gibt es Erfahrungs-, Plausibilitäts-, Identitäts-, Sinnvakuum
      • Die Abbruchstellen überbrücken
      • Die sachliche Situation wird verändert, geöffnet
      • Stressreduktion: Handhabbarkeit, Bedeutsamkeit
      • Inszenierung dieser Lebenswirklichkeit, Kultur des Augenblicks (Dienstleistung an den Übergängen des Lebens)
      • Aus der Banalität herausholen, Raum für Deutung geben, die bisherige Lebenserfahrung transzendieren
      • Gefäß für Gefühle und Empfindungen. Die „ganze“ Wahrheit muss nicht psychologisch angeeignet werden. Der Ritus repräsentiert trotzdem die „ganze Wahrheit“.

1.2. Bedeutung

      • Die Schwelle zwischen Leben und Tod begehbar, symbolisierbar machen
      • Präsenz an der Grenze, an eingebrochenen Grenzen Halt geben
      • Ein (erster) Abschied, Eröffnung und Auslösung der Trauer
      • Zeuge der Ohnmacht (nicht ohnmächtig) sein
      • Ein Letztes sagen, es noch dem leibhaftig Anwesenden „sagen“ können durch Tun
      • Das ganze Leben in den „Durchgang“ bringen
      • Den Menschen, seine Lebensgeschichte und das (Familien-) System würdigen, Identität der Betroffenen bekräftigen
      • Den Menschen als Fragment gehen lassen, Versöhnung ermöglichen, er soll „heil“ in uns sein und werden

Zweiter Horizont: „mittlere“ Transzendenz

2.1 Funktion

      • Lebensübergänge werden gemeinschaftlich gefeiert
      • Das Geheimnis nicht bereden, sondern begehen, es betreten
      • Einen Statuswechsel einleiten (Verstorbener, Weiterlebende): Einweihung in einen neuen Status
      • Die Rolle, das Setting macht das Feld: für die volle Wirklichkeit, für das Existenzielle, die Rolle deutet mit
      • Symbol für das Nicht-Religiöse
      • „Jetzt ist Religion dran“: für eine größere Wirklichkeit einstehen: dass Leben und Schicksal und Sterben ihr (heiliges) Geheimnis haben
      • Menschheitswissen, Atmosphäre des Heiligen aufrufen
      • Objektive Lebensordnung subjektiv auslegen
      • Modellhandlung der Glaubensgemeinschaft bei Lebensübergängen: „An dir/euch geschieht, was an allen geschieht“.
      • Nicht nur psychosoziale, sondern spirituelle Kultur
      • Auslegung der Weisheitstradition, die für die Deutung von Sterben und Tod hilfreich ist.
      • Ritual löst „endgültige Wahrheit“ aus
      • Die Ordnung des Lebens repräsentieren, in der es den Tod gibt; dem Tod ein Geheimnis zutrauen
      • Wächter an Lebensgrenzen, Hüter der Ordnung, Stellvertreter für das Leben im Ganzen, Wert geben bei der Auflösung alles Wertvollen

2.2 Bedeutung

      • Den Menschen in das richtige Verhältnis zur Verfasstheit allen Lebens stellen (Burdin)
      • Spirituelle Energien wecken, mit deren Hilfe der Schmerz zu ertragen ist
      • Repräsentation und Vermittlung von :

Zumutung und Weisheit

Trennung und Verbindung

Auflösung und Ordnung

      • „Du bist/Ihr seid weiterhin Teil der Gemeinschaft“ (Verstorbener, Weiterlebende)
      • Zeugenschaft für die größere Weisheit von Leben, Sterben, Tod in Welt und Kosmos
      • Als Fährmann über-setzen und die weiter bestehende Ordnung des Lebens bestätigen
      • Einen Weg von Jetzt nach Dann, von Hier nach Dort, in unbekanntes Land anbieten
      • Ort/Heimat für die Toten auf der Erde und darüber hinaus, Ort/Heimat für die Weiterlebenden: Stiftung von Identität
      • Begehung und Besiegelung des Letzten („so ist es gut“)
      • Das Zeitliche segnen mit seinen Schatten (segnen bedeutet: gut heißen)
      • Raum für Begrenztheits- und Fragmenterfahrung (schuldig geblieben sein) angesichts des Letzten. Ein Anderer (eine andere Dimension) soll die Verzweiflung, die Schuld, den Tod… tragen und verantworten
      • Den Sterbenden in der Dunkelheit des Todes, das Geheimnis dieses Menschen bewahrt wissen
      • Frieden ermöglichen für jetzt, im Letzten.

Dritter Horizont: „große“ Transzendenz

3.1 Funktion

      • Religiöse Riten beherbergen Sinnpotenziale, die über aktuell Bewusstes weit hinausgehen (M. Nüchtern)
      • Verbindung zwischen dieser und der anderen Welt
      • Die transzendente Dimension einbeziehen und so neue Wirklichkeit formen
      • Das Heilige vom Hintergrund in den Vordergrund „holen“
      • Erlaubnis, mit dem Höchsten in Verbindung zu treten, schließt die Situation an das Heilige an
      • Religiöse Gemeinschaft ist Garant für die Deutung
      • Verwalter der Geheimnisse Gottes (1. Kor. 4,1) Schatz in zerbrechlichen Gefäßen
      • Religion löst „Ewigkeit“, „ganz andere Wirklichkeit“ aus
      • Den geliebten Angehörigen aus der eigenen Fürsorge in andere Hände entlassen
      • Heil der Toten sichern, Würdigung und Ansehen vor Gott geben
      • Zeugenschaft vor und für Gott
      • Höheren Mächten übergeben (Geleit durch Engel, Heilige, Patrone), der Mensch alleine kann gar nicht alles fassen.

3.2 Sinn/Bedeutung

      • Religion stellt Beziehung her, wo Beziehungen des Lebens abreißen
      • Dem Tod ein heiliges Geheimnis zutrauen: Auch der Tod kann die Qualität des Heiligen haben („heiliger Augenblick“)
      • Das Seelenlose be-leben, der Tod ist Sache eines Anderen (Gottes)
      • Den Tod als Durchgang erweisen, im Vertrauen auf Gott die Durchgänge des Lebens bestehen; die Durchgänge führen nicht vom Leben weg: Du bist/Ihr bleibt in der Ordnung Gottes
      • Repräsentation der Treue Gottes
      • Drama des Menschenlebens mit dem Gottesdrama verbinden: Lebensdaten werden heilige Geschichte.
      • Gott als Garant der Ordnung des Lebens, den höchsten Archetyp herbeirufen: auch in Sterben, Tod und Trauer ist Gottes Geist der tiefste (Unter-) Grund
      • Das Geheimnis dieses Menschen im Geheimnis Gottes aufgehoben wissen
      • Segen: Bedeutsamkeit vom Höchsten, Heiligsten „bekommen“
      • Integration in das Schicksal Jesu Christi: Durchgang im Geist Jesu Christi, Christus geht mit (nicht der Begleiter…)
      • Sündenvergebung im Namen Gottes, Frieden bei Gott
      • Das Zeitliche segnen im Namen Gottes.