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Christliche Rituale am Lebensende

Hier sollen die für die Palliativsituation relevanten christlichen Rituale skizziert werden. Dies geschieht auch deswegen, weil ein Großteil der Patienten und Angehörigen im Umkreis des Todes ihre transzendenten Bedürfnisse nach wie vor der christlichen Seelsorge anvertraut. Bei vielen Menschen in Europa ist die kulturelle Identität mit Erinnerungen und Assoziationen aus der christlichen Religion verbunden, auch wenn sie zu dieser Religion lange Zeit keinen Kontakt mehr hatten.

Rituale sind eine Form von Religion, bei der der Sinn von Leben und Sterben nicht explizit und inhaltlich erklärt wird. Sterben und Tod haben letztlich ihr Geheimnis, dem man nicht rational und analytisch gerecht werden kann. Der ‚Sinn’ wird durch ‚Tun’, also implizit ausgesagt und sinnlich miterlebbar dargestellt. Der Ritus sagt: Auch das zerbrechende und leidvolle Leben fällt aus dem Sinnganzen, das Gott garantiert, nicht heraus.

Segnen

Seelsorge greift die Situation des Sterbenden mit allen Sorgen und Hoffnungen auf und stellt den Menschen unter den Segen eines ganz Anderen. Damit wird vermittelt, dass ‚dein Leiden nicht bedeutungslos und leer ist’, dass das Schicksal auch in schwierigen und leidvollen Zeiten unter einem guten Stern steht, weil es – wenn auch nicht änderbar – beim Höchsten, bei Gott selbst, gut aufgehoben ist.

Das Segnen geschieht durch Auflegen der Hand auf den Kopf oder die Schulter oder durch den Segensgestus des Seelsorgers, z.B. mit den Kreuzzeichen auf die Stirn des Patienten. Gerade das Kreuzzeichen greift als Segensform die leidvolle Seite des Lebens (das „Kreuz“) auf und enthält zugleich die Verheißung, dass „du wie Jesus Christus da durchkommst und wie er gerettet und zur Auferstehung gerufen wirst“ („im Kreuz ist Heil und Hoffnung“). Katholiken beziehen auch Weihwasser mit ein als Zeichen, dass von der Taufe an das Leben – also auch im Sterben – unter der liebevollen Macht Gottes steht.

Abendmahl und Kommunion

Auch die Feier des Abendmahls oder der Kommunion mit einem der Situation angemessenen Gottesdienst im Krankenzimmer bringen den Patienten sinnlich-spürbar mit Gott in Verbindung. Hier wird der „Herr über Leben und Tod“ unmittelbar in das Schicksal dieses Menschen einbezogen in Form von Brot und Wein, von Worten der Heiligen Schrift, des Vaterunser und des Segens. Damit wird der Beistand Gottes und die Verheißung der Auferstehung in jedem dieser Gottesdienste erneuert und dem Sterbenden zugesprochen.

Beichte

Mit einem von der Kirche Beauftragten werden Aspekte des Lebens augeschaut, abgewogen und im Kontext der eigenen Biografie bewertet. Hier werden noch belastende Themen besprochen, nach Wegen der Versöhnung mit sich selbst und anderen, am Ende auch mit Gott gesucht. Seelsorge kann dazu anregen, noch einmal einen Kontakt herzustellen, einen Brief zu schreiben, das Testament zu überdenken, dem Partner zu sagen, dass man ihn liebt, dass man verzeiht. – Das Thema ‚Sich selbst und anderen vergeben’ wird neuerdings von vielen Seiten [5] als äußerst wichtig bestätigt. Es kann gerade bei Schwerkranken eine große Hilfe beim Sterben sein.

In der formellen Beichte spricht der Pfarrer dem Patienten konkret und ausdrücklich zu, dass Gott diese Schuld vergibt, und dass vor Gott jetzt alles gut wird.

Salbung

In den letzten Jahren wurde als Zeichen der besonderen Zuwendung Gottes („Du salbst mein Haupt mit Öl“, Ps. 23) zum kranken Menschen die Salbung wiederbelebt, wie sie im Neuen Testament beschrieben wird: „Wenn einer von Euch krank ist …“ (Jak. 5, 14 und15). Mit Salböl wird dem Kranken ein Kreuzzeichen auf die Stirn und in die Handflächen gezeichnet. – Als besonderes Zeichen in der Krankheit ist diese Salbung aber für viele Menschen ein Signal, dass sie doch ernstlich krank sind und die ‚Salben’ der Medizin wohl nicht mehr ausreichen. Deswegen gehen viele Patienten – auch Sterbende – nur sehr zögernd auf dieses Angebot der Seelsorge ein. Andere jedoch gehen offen darauf ein, weil sie ihr Sterben bewusst gestalten und ihr Leben Gott überlassen wollen. – Auf katholischer Seite hat sich die Krankensalbung bei weitem nicht so durchgesetzt, wie es in der ersten Euphorie der 1970er Jahre erschien. Dagegen wird nach wie vor dieses Zeichen von den Angehörigen, seltener von den Patienten, als „Sakrament für die Sterbenden“(Letzte Ölung) erbeten, auch sogar noch unmittelbar nach Eintritt des Todes. „Jetzt kann kommen, was will“, sagen die Angehörigen oft danach. Jetzt haben sie ihrem Patienten ein Letztes getan und Gott alles, was zu sagen ist gesagt. – Die Seelsorge ist heutzutage darin geschult, die Krankensalbung so anzubieten, dass sie nicht mehr mit den Ängsten früherer Zeiten verbunden, sondern eine wirkliche spirituelle Hilfe ist.

Sterbesakramente

Das von der katholischen Kirche nach dem Konzil vorgesehene eigentliche Sterbesakrament ist die „Wegzehrung“ (Viaticum), die letzte heilige Kommunion. Dieses „Letzte Abendmahl“, wie es Jesus vor seinem eigenen Tod mit seinen Jüngern gefeiert hat, ist allerdings unter heutigen Bedingungen (stets neue Hoffnungen auf medizinische Möglichkeiten, Sterben unter Medikamenteneinfluss, große Schwäche, Schluckbeschwerden) oft nicht möglich. Angehörige katholischer Patienten bitten daher in den weitaus meisten Fällen um die Salbung für Sterbende, die „Letzte Ölung“. Diese können auch Patienten ohne eigene Aktivität, also auch bei eingeschränktem Bewusstsein, bei Verwirrtheit und im Koma empfangen.

Ein letztes religiöses Handeln – gleich ob es die katholische „Letzte Ölung“ oder ein anderer Akt der Verabschiedung ist – ist nicht nur ein Zeichen für den Sterbenden selbst, sondern eine wichtige spirituelle Unterstützung für die Angehörigen. Deshalb wird es von diesen oft erst gewünscht, wenn der Patient kaum noch ansprechbar oder gerade verstorben ist. Vorher würde es einem das Herz zerreißen, ihm so deutlich sein Sterben anzukündigen und diese Tatsache für sich zu realisieren. Nicht selten wirkt sich eine zu frühe Zustimmung zum Sterben bei den Angehörigen als Schuldgefühl in der Trauerzeit aus. Das Miterleben dieses Zeichens hilft ihnen aber auch, ihren Sterbenden jetzt gut gehen zu lassen, weil jetzt ein ‚Letztes’ gesagt und getan ist. Die Erinnerung daran kann zu einer wichtigen Stütze in der späteren Trauer werden.

Nottaufe

Eltern erbitten für ein Kind, das nur eine kurze Lebenserwartung hat, aber auch für ein tot geborenes oder kurz vor dem Tod stehendes Kind die Taufe. Hier geht es weniger um die Aufnahme in die Kirche und (heute nicht mehr) um die Bewahrung des Kindes vor der Verdammnis. Eltern brauchen vielmehr ein Zeichen, dass auch dieser Hauch von Leben einen Namen hat, dass auch dieses Leben sinnvoll ist und vor Gott und der Welt einen unvergänglichen Wert hat.

Die Taufe kann jeder selbst Getaufte im Notfall mit Wasser und den Worten „Ich taufe dich im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“ spenden.

In der Regel ist die Taufe mit der Namensgebung verbunden. Es ist wichtig für die Eltern und die Geschwister, dass auch das verstorbene Kind einen Namen hat und als Familienmitglied wertschätzend benannt und erinnert werden kann. Hilfreich ist eine Taufkerze, die auch später noch an die „kleine Flamme erinnert, die mit diesem Leben aufgeleuchtet und zwar physisch erloschen ist, in unserem Herzen aber immer brennt“.

Sterbesegen

In der katholischen Kirche wird die Frage nach weiteren Ritualmöglichkeiten für die Sterbestunde, neben der Wegzehrung und der Krankensalbung immer dringlicher. Die religiöse Situation am Sterbebett ist heute wesentlich vielfältiger als noch vor 20 Jahren. – Inzwischen gibt es in vieln deutschen Diözesen Agenden, die von zuständigen Bischöfen befürwortet werden. Für die Sterbestunde braucht es ein „starkes“ Zeichen, das mehr ausdrückt als ein alltäglicher Krankensegen. Die Letztsituation, das Gehen eines Menschen aus dieser Welt verlangt – anthropologisch gesehen – ein starkes Gegengewicht, das das existenzielle Gewicht des kommenden Todes tragen kann.

Zu den Kernsymbolen eines Sterbesegens können folgende Elemente gehören: Handauflegung mit Gebet, Kreuzzeichen auf Stirn und Hände mit Worten wie bei der Aussegnung, als Materie Weihwasser (der Sinn: du bist durch die Taufe in Gottes Leben hineingenommen, auch im Tod wirst du nicht aus diesem Leben herausfallen – in Ewigkeit nicht), eine Kerze, mit einem österlichen Symbol.

Abschied am Totenbett – Aussegnung

Die spirituelle Begleitung hat nicht nur den Patienten im Blick, sondern sie gilt, direkt oder indirekt, auch den Angehörigen. Solche Unterstützung wirkt sich nicht nur auf die Sterbezeit aus, sondern auch auf die Zeit der Trauer nach dem Tod. Zu diesen guten Erfahrungen im Schlimmen gehört auch die „Aussegnung“. Dabei kann der spirituelle Begleiter dem Verstorbenen ein dreifaches Kreuzzeichen auf die Stirn machen: „Es segne dich Gott der Vater, der dich erschaffen hat; Jesus Christus, der dich erlöst hat; der Heilige Geist, der auch auf dem Weg durch den Tod bei dir ist“. Danach kann er die eine Hand ergreifen und bitten: „Gott nehme all das in seine Hand, was in deinem Leben durch deine Hände gegangen ist: alles, was du berührt…, geschafft…, Schweres getragen hast…, was du vielleicht geschädigt oder verletzt hast…. . Gott segne es. In seiner Hand wird alles gut und heil“.

Beim Ergreifen der anderen Hand: „Gott sende dir seinen heiligen Engel, deinen Schutzengel, der von Anfang deines Lebens mit dir geht, deinen Namenspatron (den Heiligen N., die Heilige.M.), der dich von Anfang deines Lebens mit Namen kennt. Die Heiligen und die Engel geleiten dich auch auf dem Weg durch das Dunkel des Todes zum Licht Gottes. Gott lässt dich sowieso nicht aus den Augen und aus dem Sinn – in Ewigkeit nicht. Amen“. Danach ist Raum, um dem Verstorbenen noch ein Letztes zu sagen (‚hinüberzurufen’), eine Liebe, einen Dank, eine Bitte, ein wichtiges Wort der Verbundenheit, der Wertschätzung. Dann folgt das Vater unser. Der Geistliche segnet alle Anwesenden: „Es segne und behüte Euch in eurer Not und Trauer Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.“

Nach dem Tod werden die Hände des Verstorbenen über der Brust gefaltet. Eine Kerze wird angezündet, oder eine Blume auf das Bett gelegt, die Fotos von Familienmitgliedern auf dem Nachttisch zurechtgerückt („die sind jetzt auch dabei“), sein Gesicht bewusst angeschaut, Stille gehalten oder erzählt, manchmal der Rosenkranz gebetet oder Psalmen („…ich hebe meine Augen auf zu den Bergen…“(Ps. 121), „… im Haus des Herrn darf ich wohnen für lange Zeit“(Ps. 23).

Auch Nichtseelsorger können einen Abschied gestalten, wenn die Seelsorge nicht gewünscht oder erreichbar ist. – Aus dem Altenheim und Hospizkontext gibt es inzwischen viele Ritualmodelle für die Helfer. (Ausführlicher siehe [2] und [3])

Literatur
[1] Samarel N (2003) Der Sterbeprozeß (engl. 1995).
In : Wittkowski J (Hg) Sterben, Tod und Trauer. Stuttgart: 132-151

[2] Smeding R, Weiher E (1999) Tot und begraben?
In : Weiher E Die Religion, die Trauer und der Trost. Mainz (3. Aufl. 2007): 168-180

[3] Weiher E (2004) Die Sterbestunde im Krankenhaus. Was können die Professionellen im Umkreis des Todes tun? Beiträge zur Thanatologie des IAK Thanatologie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, H 28.

[4] Weiher E (2008) Das Geheimnis des Lebens berühren. Spiritualität bei Krankheit, Sterben, Tod. Eine Grammatik für Helfende. Stuttgart 2. Aufl. 2009. Hier werden viele Themen der Sterbebegleitung für Nichtseelsorger erschlossen.

[5] Worthington E., Van Oyen Witvliet C, Pietrini P, Miller A (2007) Forgiveness, health and well-beeing. A review of evidence for emotional versus decisional forgiveness, and reduced unforgiveness. Journal of Behavioral Medicine, 30:291-302